„Wählt KPD!“ oder „KPD wählen!“

Hintergründe einer Spaltung in der Gruppe Rote Fahne (KPD)


Das MSZ-Kollektiv ist im Besitz eines erregenden Dokuments: es handelt sich um das Protokoll einer Sitzung der Ortsgruppe Bayern der „KPD“, die Anfang Oktober an einem geheimen Ort stattfand. Das Dokument klärt die Hintergründe des Ausschlusses einer ultra „linken“ Renegatenclique aus der „KPD-Symathisantengruppe“ München. Wir veröffentlichen im folgenden das Dokument im Wortlaut.


Ortsgruppenleitungssitzung vom 2. Oktober 1974, Protokollant J.
Anwesende: Vier Mitglieder der Ortsgruppenleitung, je ein Delegierter der KSV-Hochschulleitung Regionalkomitee Bayern, des KOV, des KJV, des rote-Fahne-Freundeskreises, der Liga gegen den Imperialismus. Tagesordnung: Entwurf eines Plakats der KPD zur Landtagswahl.

Ein Genosse der Ortsgruppenleitung (OGL) legt den Plakatentwurf vor. In Anlehnung an ein KSV-Plakat zeigt der Entwurf Massen mit Roten Fahnen. Ein Gen. des KSV wendet ein, daß die Transparente, auf denen zu lesen ist, „KPD – Organisator aller Siege“ zu leicht als Fotomontagen erkennbar seien. Er hat einen Entwurf der KSV-Hochschulleitung (HL) dabei. Er zeigt das Brustbild eines typischen Proletariers. Ein Gen. der Liga gibt zu bedenken, daß es bei den Landtagswahlen auf die Stimmen aller Mitglieder des Volkes ankomme; er legt seinen Entwurf vor, der eine Gruppe fortschrittlicher Menschen zeigt, einen Arbeiter, einen Angestellten, einen Bauern, einen Kolonialwarenhändler und einen Gastarbeiter aus Eritrea. Seitens der OGL wird eingewandt, der Vorschlag der Liga verwische den proletarischen Charakter unserer Partei. In einer Abstimmung nach den Prinzipien des demokratischen Zentralismus werden alle bislang vorgelegten Entwürfe abgelehnt. Eine Genossin des Rote-Fahne-Freundeskreises (RFFK) macht einen Kompromißvorschlag: Das Plakat soll symbolisch die Interessen des Volkes ausdrücken und dennoch die proletarische Führung hervorheben. Sie schlägt als Illustration nur Hammer und Sichel vor. Der Delegierte der KSV-HL weist darauf hin, daß hierbei die Intelligenz herausfiele und die Bauern sich in der Sichel nicht wiedererkennen würden. Er schlägt einen roten Stern als Symbol vor. Die Liga ist dafür, die Sichel durch eine Sense zu ersetzen. Die Genossin des RFFK, die aus einer Familie armer und Mittelbauern stammt, weist daraufhin, daß auch die Sense nicht mehr dem Stand der landwirtschaftlichen Produktivkräfte entspricht. Ihr Vorschlag jedoch, Hammer, Rechenschieber und Mähdrescher wird als graphisch mit den Mitteln des sozialistischen Realismus nicht zu verwirklichen abgelehnt.

Bei diesem Stand der Diskussion verläßt ein Genosse der OGL die Sitzung, um von einer Telephonzelle aus in Dortmund anzurufen. Er teilt uns die Weisung des Ständigen Ausschusses des ZK mit: Hammer und Sichel auf Rotem Stern. Oben die Hauptlosung unserer Partei und unten groß „Wählt KPD!“. Je ein Vertreter der KSV-HL, der Liga, des KOV, des RFFK und der OGL begrüßen die wegweisende Entscheidung der ZK-Genossen und bezeichnen sie als „entschiedenen Schritt vorwärts“ (Liga), „harten Schlag gegen den Opportunismus“ (KSV-HL), „Massenwirksam“ (RFFK) und „begeisternd“ (KOV). Hier meldet sich jedoch ein Genosse der OGL zu Wort und kritisiert die Parole „Wählt KPD!“ scharf: sie sei nahezu identisch mit Parolen anderer, auch bürgerlicher Parteien, die 2. Person Plural des Imperativ sei opportunistisch und verrate den entschiedenen Klassenstandpunkt. In ihr liege ferner ein subjektivistisches Moment, weil dieser Imperativ unterstelle, die Massen wüßten nicht, daß nur die KPD ihre Interessen vertrete und müßten noch aufgefordert werden, sie zu wählen, noch dazu in militaristischem Befehlston. Hingegen käme es darauf an, den Massen das objektiv Richtige klar zu machen, die Verschleierungen der Monopolbourgeoisie zu entlarven und eine klare, revolutionäre Perspektive zu weisen. Der Genosse wies noch darauf hin, daß die chinesischen Genossen mit dem infinitivischen Imperativ ausgezeichnete Erfahrungen gemacht hätten, der aus den allgemeingültigen Wahrheiten des ML geschöpft sei und schlug als Parole vor „KPD wählen!“
Die Genossen waren über diesen „links“ sektiererischen Vorschlag des Gen. von der OGL empört, stellte er doch die Übertragung einer Politik der chinesischen Genossen auf eine Situation dar, die sich durch eine weniger fortgeschrittene Etappe des Klassenkampfs auszeichnet.

Ihr gerechter Abscheu wuchs noch, als sich ein anderer Genosse der OGL dem ultra„linken“ Vorschlag anschloß. Deshalb begrüßten sie begeistert den Vorschlag der aufrechten Genossen, der OGL den voluntaristisch-sektiererischen Block in der OGL aus der Partei auszuschließen.

Mit der einstimmigen Annahme der Direktive des ständigen Ausschusses des ZK wurde die Sitzung geschlossen.

 

aus: MSZ 1 – November 1974

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