Irrer will Kanzler sprechen oder:
Die Bekehrung eines Buchverlegers

Eine langweilige Tragödie in 3 Akten


Vorbemerkungen der Herausgeber

Das Stück, das wir als erste der Öffentlichkeit in gedruckter Form vorlegen können, wurde im September dieses Jahres uraufgeführt nach einer wahren Begebenheit. Trotz sorgfältiger Untersuchungen, mit denen mehrere Literaturwissenschafter betraut wurden, konnte weder ermittelt werden, wer das Stück geschrieben, noch wer es inszeniert hat. Eine Meinung geht indes dahin, daß sowohl Stück wie Inszenierung von Wischnewski stammen. Sie führt als Beweis einen Satz des Textes an, den Keppel nicht selbst gesagt haben soll, sondern der ihm als Ausspruch Wischnewski von diesem selbst in den Mund gelegt wird:

„Das ist doch der, der das Ganze in Mogadischu inszeniert hat.“

Eine andere Meinung hält diesen Ausspruch dagegen für den Beleg, daß zwar Wischnewski jederzeit das Heft in der Hand gehalten hat, aber als eigentlicher Autor und Regisseur lediglich Keppel in Frage kommt. Keppel soll demnach den Ausspruch selbst getan und damit eine Ahnung kundgetan haben, daß er verspielt hat. Eine dritte Auffassung endlich vertritt, daß das Ganze recht eigentlich von der Presse in Szene gesetzt worden wäre, und die beteiligten Personen sich nur aneinander abgearbeitet hätten, um die Bestsellerverleger am Schluß des Stückes aus der Reserve zu locken und ihnen sofort wieder einen Tiefschlag zu versetzen. Die letzte Interpretation halten wir allerdings für etwas abwegig, da sie das Auftreten des Spielwarenfabrikanten nicht erklären kann; ebensogut hätte diese Auffassung vertreten können, daß das Ganze von Meidenbauer inszeniert worden wäre, um die Qualität seiner Spielzeugpistolen zu beweisen.

Interessant erscheint uns allerdings an allen drei Interpretationsvorschlägen, daß jeder eine der beteiligten Personen sowohl als Autor als auch als Regisseur vermutet. Diese Tatsache würde einige formale Mängel des Stücks erklären, dem zu einem wahren Kunstwerk die überarbeitende Hand eines außerhalb stehenden Blickpunktes fehlt. So ist der Höhepunkt im zweiten Akt bereits am Anfang mit dem oben zitierten Satz erreicht, dem somit auf jeden Fall eine zentrale Rolle in der Deutung des Stückes zukommt. Die Spannung, die sich mit dem kurzen Zögern Keppels andeutet, läßt sofort nach, wenn er sich der Macht, gegen die er angetreten ist, überantwortet. Die Entwicklung des Dialogs bis zum Gang ins Gefängnis läuft zwar logisch ab, entspannt sich aber eher als Farce, in der keine Lüge und Frechheit ungesagt bleibt und selbst die eigene Mutter als Argument herhalten muß. Der Versuch, aus Keppel einen tragischen Charakter zu machen, der glaubt, in seinem Gegenspieler einen Anhänger seiner sozialen Ideen gefunden zu haben, muß so zum Scheitern verurteilt bleiben. Nicht erst am Ende bemerkt das Publikum, daß der Held freiwilliges Opfer einer arglistigen Täuschung geworden ist: Bereits die ins Groteske umschlagende Exposition, sowie der ohne jede Steigerung bloß reihende und reichlich flache, wenn auch durchaus realistische Dialog im 2. Akt sorgen dafür, daß statt eines wirklich dramatischen Konflikts die Peripetie herbeigelabert wird und in der Coda das Stück alles Tragische verliert und in die Haupt- und Staats-Klamotte umschlägt. Das Stück bekommt dadurch einen Hang ins Gemeine. Auch die Personen des Salewski und des Wegener, die sich vom allgemeinen Beraterstab deutlich abzeichnen, sind ungenügend charakterisiert, auch wenn sie gar nicht mehr als andeuten sollen, daß Wischnewski noch etwas in der Hinterhand hat.

Der Schlüssel für die Deutung des dritten Aktes scheint uns in einer Beziehung zu einem Höheren zu liegen. Was sich im Nachhinein fast noch als List herausgestellt hätte, das Wecken des Interesses des Verlegers, wird durch die Diskussion der Presse mit dem Spielwarenfabrikanten darüber, ob die Handlung überhaupt bis zum zweiten Akt hätte gedeihen müssen, vereitelt. Die Vernunft ergreift auch den Verleger – im Stück angedeutet durch eine Pause – und läßt ihn von seinem schlechten Vorhaben abgehen. Die Macht des zweiten Aktes wirkt hier mit ihrer Wucht so nach, daß nicht nur im zweiten Akt die Person, sondern auch im dritten ihr Werk vernichtet werden. Die Kritik an dem Stück, daß sich eine Macht in gemeiner Weise an dem guten Wollen des Helden durchsetzt, bleibt davon untangiert. Egal, wer das Stück geschrieben hat, ist zu kritisieren, daß der Autor sich nicht das Positive, sondern das Negative zum Zweck gesetzt hat.

„Zu diesem Kreise gehört deshalb auch eine Masse der neueren Bühnenstücke, welche weniger auf Poesie als auf Theaterwirkung Anspruch machen und entweder statt auf wahrhaft poetische auf bloß menschliche Rührung losgehen oder sich einerseits nur die Unterhaltung, andererseits die moralische Besserung des Publikums zum Zweck machen, dabei aber größtenteils dem Schauspieler vielfache Gelegenheit verschaffen, seine durchgebildete Virtuosität glänzend an den Tag zu legen.“ (Hegel, Ästhetik, WA 15, S. 533 f.)

(MSZ-Kollektiv)

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Die Personen:

KEPPEL, arbeitsloser Schweißer, Autodidakt

SCHMIDT, Kanzler

WISCHNEWSKI, Unterhändler des Kanzlers

WEGENER, Diener des Wischnewski

SALEWSKI, Diener des Wischnewski

PRESSE, Presse und Fernsehen

MEIDENBAUER, Spielwarenfabrikant

DROEMER & KNAUR, Verleger PILOT, Pilot der Lufthansa

LUFTHANSA, die Lufthansa

Ein Freund Keppels

Beraterstab

 

I. Akt

(Arbeitszimmer des Verlegers. Der Verleger, eine Zigarre rauchend, blättert lustlos in einigen
Manuskripten)

KEPPEL (monologisierend): Was bin ich nur für ein Mensch. Seit Jahren bin ich auf der Suche nach Gründen, XXXXXXwarum die Menschen so sind, wie sie sind.

PRESSE (Stimme aus dem Hintergrund): Faszinierende Ansichten eines Prügelknabens. Trotz miserabler XXXXXXSchulbildung ein beachtliches Wissen über psychologische, soziologische und politische Fragen.

KEPPEL: Ich hoffe, weil ich weiß, daß der Mensch von Natur aus nicht so unmenschlich ist, wie er sich in der XXXXXXzivilisierten Welt zeigt. Dagegen resigniere ich bei dem Gedanken, daß weiterhin Menschen psychisch XXXXXXzerstört werden und ich machtlos dagegen bin.

PRESSE: Schwierige Jugend.

FREUND (tritt auf und verschwindet sofort wieder): Ein sehr fürsorglicher und feinsinniger Mensch. Ihn haben die XXXXXXUngerechtigkeiten dieser Welt persönlich betroffen gemacht.

KEPPEL (grübelnd): Ich baute mir Ziele auf, von denen ich wußte, daß sie unrealistisch waren, aber ich war XXXXXXtrotzdem nicht bereit, davon abzuweichen.

PRESSE: Er erkennt, daß seine Ideen immer zwanghafter, neurotischer werden. Mit seinen Zweifeln und XXXXXXunerfüllten Hoffnungen ist er fast normal – ein Durchschnittstyp.

KEPPEL: Ich werde eine Aktion für humanitäre Ziele starten. Ich hoffe jeden Tag, daß jemand anderer auf die Idee XXXXXXkommt, diese Forderungen sogar auf legalem Wege durchzusetzen. Es wird aber eine Hoffnung bleiben, XXXXXXso daß ich diesen Schritt gehen muß. (Ab. Vorhang)


2. Akt

(Tower eines Flughafens. In der rechten oberen Ecke ist ein großes Schild „Wahn“ zu lesen. Auf einem Bildschirm meldet sich die PRESSE zu Wort. Die Stimme Keppels ist über einen Lautsprecher zu hören. Der Raum ist leer, durch das Fenster sieht man eine Maschine auf dem Flugfeld stehen, die von K. entführt worden ist.)

KEPPEL (höflich): Ich will den Kanzler sprechen.

PRESSE: Ein Irrer ganz in Schwarz.

KANZLER (Stimme hinter der Bühne): Dann müssen Sie wohl das Lagezentrum in Gang setzen.
(Wischnewski, Wegener und Salewski treten zusammen mit dem Beraterstab von 10-12 Leuten auf, Wegener in einer Monteursuniform, die unter der Achsel und an der Hüfte ausgebeult ist, Salewski flüstert Wischnewski öfters etwas ins Ohr. Der Beraterstab blättert pausenlos in mitgebrachten Aktenordnern. Die anfangs hektische Stimmung wird nach und nach gelöster.)

WISCHNEWSKI: Sehr geehrter Gesprächspartner, der Kanzler ist leider wegen dringender Staatsgeschäfte XXXXXXverhindert. Ich werde mit Ihnen verhandeln.

KEPPEL (Zögert. Zu sich): Das ist doch der, der das Ganze in Mogadischu inszeniert hat. (Dann entschlossen und XXXXXXdurchaus vertraulich) Im Interesse einer humaneren Zukunft stelle ich folgende Forderungen an die XXXXXXRegierung der Bundesrepublik Deutschland. Die Rüstungsausgaben dürfen nicht mehr steigen, die XXXXXXWehrpflicht muß abgeschafft werden, es soll mehr Mutterschaftsurlaub geben, alle Erzieher, Ärzte, XXXXXXSchwestern, Lehrer, Eltern sollen darüber aufgeklärt werden, welche Fehler bislang bei der Erziehung XXXXXXgemacht wurden.

PRESSE: Zweifelsfrei idealistische Vorstellungen.

WISCHNEWSKI (ölig): Also wenn ich mein Gewissen prüfe, dann sehe ich an und für sich keinen einzigen Punkt, XXXXXXwo ich nicht sagen kann, ich werde mich dafür verwenden, daß wir die Dinge voranbringen.

KEPPEL (ungläubig): Das heißt also, die Bundesrepublik will sich für alle Punkte einsetzen?

WISCHNEWSKI: Sie haben mich mißverstanden.

KEPPEL: Daß ich da im Endeffekt keine Zusage kriege, war mir klar.

WISCHNEWSKI: Unser Gespräch, verehrter Gast, wäre ganz unseriös, wenn ich hier leichtfertig sagen würde, XXXXXXjawohl, das machen wir, sondern ich muß ausgehen von den Zuständigkeiten.

KEPPEL: Sie haben auch sehr gute Beispiele aufgeführt, eben die strukturell bedingt sind, die ich vorher nicht XXXXXXeinberechnet habe. Das muß ich zugeben, das ist ein klarer Fehler von mir.

WISCHNEWSKI (freundlich): Ich freue mich, ich habe den Eindruck, daß Sie ein Mann sind, der auch zur XXXXXXObjektivität in der Lage ist. (erscheint gleichzeitig auf dem Bildschirm, entspannt zurückgelehnt): Ich XXXXXXhabe mich mit dem Entführer über das Psychiatriekostengesetz aus dem Jahre 1942 unterhalten müssen. XXXXXXAuch hier war ich ein kompetenter Gesprächspartner.

KEPPEL: Da war für mich auch ein sehr großes Problem, nämlich die alten und behinderten Menschen. Wenn sie XXXXXXsich nicht mehr selber helfen können, werden sie in Altersheime abgeschoben.

WISCHNEWSKI: Ich habe Anfang dieses Jahres meine Mutter verloren, und ich muß hier ganz offen und ehrlich XXXXXXsagen, sie war während des letzten dreiviertel Jahres in einem Pflegeheim. Wofür wir dann Sorge XXXXXXgetragen haben allerdings ist, daß sie mindestens in der Woche vier-, fünf-, manchmal sechsmal besucht XXXXXXworden ist.

KEPPEL (trotzig, mit dem Manuskript raschelnd): Ja. Da wäre dann ja nur noch ein einziger Punkt, nämlich die XXXXXXPolitiker im Parlament. Da wird der Bevölkerung etwas erzählt, was nicht richtig ist.

WISCHNEWSKI: Also, jetzt komme ich natürlich in ein schwieriges Fahrwasser. Ich sage Ihnen ganz offen, unter XXXXXXPolitikern finden Sie soviele gute und schlechte Menschen wie in unserem Lande. (Blickt im Tower um XXXXXXXsich)

KEPPEL: Ich würde nur in einer total humanen Gesellschaft Politiker sein wollen, sonst ums Verrecken nicht.

WISCHNEWSKI (betroffen): Ich muß Ihnen sagen, das Wort vom Verrecken hat mir nicht gefallen. So, damit Sie XXXXXXes einfach wissen. Ich möchte, daß Sie auch wissen, wie das mit Ihnen weitergeht. (Flüstert mit XXXXXXXWegener)

KEPPEL: Ich habe von vornherein einkalkuliert, daß das ein paar Jahre Gefängnis gibt, aber das habe ich gerne XXXXXXeinkalkuliert.

WISCHNEWSKI (in seinem Terminkalender blätternd): Wenn dieser Punkt erledigt ist, komme ich selbst hin und XXXXXXhole Sie ab, weil ich glaube, daß wir in dem Gespräch ein wenig Kontakt miteinander gefunden haben. XXXXXXUnd dann müssen wir natürlich in ganz humaner Weise, ganz humaner Behandlung den Weg gehen, der XXXXXXunvermeidbar ist.

KEPPEL (sein Manuskript zusammenpackend): Also gut, ich bin damit einverstanden. Ich überliefere auch meine XXXXXXPistole, es ist im übrigen nur eine Spielzeugpistole. Ich würde niemals jemandem etwas antun. Das gäbe XXXXXXes für mich nicht. Und sonst bin ich mit dem einverstanden, was Sie gesagt haben.

WISCHNEWSKI: Ich bedanke mich. (Ab mit Wegener. Erscheint wieder auf dem Bildschirm) Von einem XXXXXXVerrückten wollen wir hier nicht reden, verrückt ist er nicht. Ich habe mich mit ihm über alle Bereiche XXXXXXder Politik unterhalten müssen. Er war ein durchaus gleichwertiger Gesprächspartner.

(Wetterbericht, die Ansagerin verkündet das Abendprogramm. Vorhang)

 

3. Akt

(Arbeitszimmer des Verlegers. Der Verleger durchstöbert aufgeregt seinen Manuskriptberg und führt ständig Telefongespräche. Die Presse, Meidenbauer, die Lufthansa und der Pilot sind versammelt)

PILOT: Zwölf Stunden lang hat der Mann die Pistole nicht aus der Hand gelegt. Er hielt die Schußwaffe so XXXXXXgeschickt, daß sie meist durch die weiße Plastiktüte versteckt wurde und wir nur wenige XXXXXX XXXXXXQuadratzentimeter davon sehen konnten.

LUFTHANSA (legt schützend dem Piloten den Arm um die Schulter): Anweisung, nichts zu unternehmen. XXXXXXGrundsätzlich keine Gegengewalt an Bord. Muß am Boden, außerhalb der Maschine erledigt werden.

PRESSE (heimlich vom Notizblock ablesend): Selbst der Verkäufer, der Keppel den Ballermann aus Bakelit für 10 XXXXXXMark 75 verkauft hatte, mußte einräumen: Ich hätte es auch mit der Angst gekriegt.

MEIDENBAUER: Alles üble Burschen.

PRESSE: Tätertyp von geringerer krimineller Energie und bisweilen auch von einer fixen Idee durchdrungen. Ob XXXXXXdie Hersteller von Spielzeugwaffen nicht dazu gebracht werden könnten, ihre Erzeugnisse so zu XXXXXXgestalten, daß eine Verwechslung mit echten Waffen nicht mehr möglich ist, denn eine rosarote Pistole XXXXXXerschreckt niemanden.

MEIDENBAUER: Unsere Pistolen haben den Vorteil, daß damit noch niemand erschossen wurde.

DROEMER/KNAUR (scheint zu einem Entschluß gekommen zu sein, mischt sich ein): Am 25.9. erscheint als XXXXXXDokument der Zeitgeschichte das Buch „Entführung zur Menschlichkeit“ von Keppel. Startauflage, XXXXXXSeiten, Preis.

PRESSE (Literaturkritiker, schrill lispelnd): Erfolglother Schriftthteller. Reklametrick. Anscheinend hat Keppel XXXXXXden Mechanithmuth der Beththellermacher untherer Buchfabriken glathklar erkannt.

(Alle, außer Verleger, ab. Längere Pause)

DROEMER/KNAUR: Weittragende Ereignisse haben uns dazu veranlaßt, die geplante Herausgabe des Buches zu XXXXXXstoppen und endgültig zu streichen. Wir wollen nicht in ein schwebendes Verfahren eingreifen.

(Vorhang)

 

aus: MSZ 31 – Oktober 1979

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