Im Iran Rückkehr zur Stabilität?


Die Frankfurter Anti-Schah-Demonstration hat durch ihren Ausgang zumindest ein unbezweifelbares Resultat gehabt: am Abend brachte das deutsche Fernsehen Bilder und Nachrichten von der Straßenschlacht am Main vor einer kurzen Meldung über Demonstrationen in iranischen Großstädten, denen erneut eine nicht genau zu ermittelnde Zahl von Demonstranten zum Opfer fiel. Mag es auch angesichts einer weltweiten Diskussion, die allein noch um die Frage kreist, ob die Polizei unvorbereitet in die Krawalle ging oder ob die Art und Weise wie in Frankfurt demonstriert wurde, ein Erfolg antiimperialistischer Solidarität war (ein CISNU(1)-Vertreter auf einem Teach-In des Frankfurter AStA), etwas anachronistisch sein, noch einmal das Thema aufzugreifen. Aber es gehört bekanntlich zu den Anachronismen der MARXISTISCHEN STUDENTENZEITUNG, penetrant auf Themen herumzureiten, die für die Linke im allgemeinen längst keine mehr sind.


Die Militärregierung im Amt, oder: Umgruppierung der Requisiten des Faschismus

Der Schah hat es vorgezogen, hinter diejenigen fürs erste zurückzutreten, die allein seinen erzwungenen Rücktritt verhindern können, die Generale seiner Soldateska. Er hat seinen militärischen Oberbefehlshaber General Azhari zum Premierminister ernannt und ihn mit der Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung beauftragt. Nicht, daß sich damit an der Rolle der Armee irgend etwas ändern würde. Das Militär ist jetzt an der Regierung, während die Regierung durch das Militär vorher regieren konnte. „Der Schah behält die Zügel in der Hand“ heißt so auch der allgemeine Tenor in der Presse und was man äußerstenfalls annimmt, sind „vorsichtige Kurskorrekturen“. Zu durchsichtig, daß hier nur die Requisiten des Faschismus umgruppiert worden sind und ebenfalls überdeutlich, was sich der Regisseur davon verspricht: das wichtigste Machtinstrument des Regimes darf nun die Gewalt selbst nach außen hin verantworten, die sie nach wie vor im Auftrag des Kaisers ausübt. Azhari spielt seinen Part nicht ungeschickt.

Seine erste Ansprache an die Nation versucht, die Macht des Herrschers mit Argumenten der Opposition dem Volk zu seinem Anliegen zu machen:

„Ich habe das Amt übernommen, um mit dem Schutz und dem Beistand des allmächtigen ewigen Gottes, geleitet von der geoffenbarten islamischen Religion und der heiligen Familie des Propheten, sowie mit der Zusammenarbeit und der Verständnisbereitschaft meiner lieben Landsleute der gegenwärtigen chaotischen Situation ein Ende zu setzen.“ (Alle Zitate, soweit nicht anders vermerkt, nach „Archiv der Gegenwart“, 8.11.1978)

Doch damit nicht genug: Azhari versichert, sich auf

„das freundliche Verständnis der heiligen Imame, den Beistand der Religionsgelehrten und auf die Unterweisung der intellektuellen Führer der Gesellschaft“

zu stützen. Die Schuld an der „Lähmung des öffentlichen Lebens“ gibt er „xenophilen Elementen“, die das Land in „koloniale Abhängigkeit stürzen“ wollen.

Wie ernst es ihm ist, mit den Fehlern der Vergangenheit „aufzuräumen“, dokumentiert zunächst schon seine Kabinettsliste, in der die meisten Minister der Regierung Emami ihre Posten behalten haben. Zur „Wiederherstellung der Ordnung“ läßt die Regierung die großen Städte des Landes besetzen und 35 Politiker, die bislang zu den Günstlingen des Regimes zählten, verhaften. Der Hofminister des Schahs gibt die Einsetzung einer Kommission bekannt, die „auf Wunsch des Schahs“ Bestand und Verwendung des Vermögens der kaiserlichen Familie überprüfen soll. Wahrscheinlich plante der Schah schon seit längerem eine umfassende Inventur der bisher gemachten Beute.


Der Fortschritt geht weiter, oder: Der Schah weint

„Mein Gemahl, der Schah, und ich, wir haben Fehler gemacht.“
Farah Diba, Schabanuh des Iran

Dem Reporter des amerikanischen Nachrichtenmagazins „Newsweek“ gegenüber übt Reza Pahlevi pflichtgemäße Selbstkritik – nicht an sich, sondern an seinen Lakaien. Er gibt an,

„daß Mißbräuche und Fehler der Vergangenheit zur jüngsten Krise und zur Unzufriedenheit in der Öffentlichkeit im Lande beigetragen haben.“

Von Seiten des Herrschers bedarf es also nur einiger kleiner Korrekturen, von Seiten des Volkes aber der Einsicht, daß es nur um ein paar Korrekturen geht. Er gibt sich zuversichtlich, daß diese Fehlentwicklung und die daraus entstandene Krise mit Hilfe der Armee beseitigt werden können: zuerst natürlich die Krise und dann die Fehler, wenn sie noch jemanden stören sollten. Seit General Azhari die Regierungsgewalt übernommen hat, schweigt der Schah. Er überläßt es den Soldaten, zuerst die „Fehlentwicklungen“ auf den Erdölfeldern und in den Raffinerien zu korrigieren. Die Armee hat die Förderanlagen und die Verarbeitungskomplexe besetzt und durch den Einsatz ausländischer Spezialisten sowie durch die Verhaftung der „Rädelsführer“ des Streiks die Erdölproduktion wieder auf 70 % des Standes vom Januar 1978 steigern können. Die Ansätze gewerkschaftlicher Organisation, die im Kampf entstanden, wurden von Armee und Polizei jedesmal wieder zerschlagen, so daß das Ende jedes Streiks die Bewegung wieder auf den Stand vor Beginn der Aktion zurückwirft. Zudem läßt sich ohne Streikkassen und bei Löhnen knapp am Existenzminimum ein längerer Ausstand ohnehin nicht durchhalten. So hängt der Erfolg des Streiks von der ihn begleitenden politischen Aktion ab, welche wiederum den Schergen des Regimes Gelegenheit zum Zuschlagen bietet.


Die Opposition vereinigt sich, oder: Keine Alternative

Der Zusammenschluß der Nationalen Front Sandschabis mit dem Schiitenführer Khomeini, die durch die Übernahme der radikalen antimonarchistischen Positionen des Ayatollah und seiner Absage an die imperialistische Ausplünderung des Iran ermöglicht wurde, nimmt dem Regime vorerst die Perspektive eines Arrangements mit der bürgerlichen Opposition, die vorher nicht auf einem Rücktritt des Schahs bestanden hatte. Prompt wird Sandschabi bei seiner Rückkehr nach Teheran verhaftet. US-Präsident Jimmy Carter zeigt Verständnis für diese Maßnahme und versichert dem Kronprinzen die „unverbrüchliche Solidarität“ der Vereinigten Staaten. Für den Imperialismus gibt es (noch) keine Alternative zum Schah. Zwar beklagen westliche Beobachter das Stocken der Geschäfte im Iran – das „Handelsblatt“ berichtet von der „wachsenden Unsicherheit“ wirtschaftlicher Pläne und Verträge mit Persien – doch weiß man andererseits, was man am Schah hat und hofft auf das „übliche“ Ergebnis:

„So etwas ist für uns nicht neu. In Nicaragua, Argentinien und Chile hat das Unternehmen schon Ähnliches erlebt.“

Weder die Nationale Front und erst recht nicht die „islamische Republik“ Khomeinis garantieren ein neues Arrangement auf der alten Profitbasis:

– Sandschabi ist zu „gemäßigt“. Das heißt, seine Vorstellungen sind nicht in der Lage, die Unruhe unter den Massen und ihre politischen und ökonomischen Forderungen in eine stabile Neuordnung der Verhältnisse überzuführen.

– Khomeini ist zu „radikal“. Seine „islamische Republik“, die alle Verträge aufkündigen will, die „ungerecht“ sind (und welcher gewinnbringende Vertrag mit dem imperialistischen Kapital ist das nicht?), ist im wahrsten Wortsinne unberechenbar.

So setzt man in den westlichen Hauptstädten voll auf den Schah. Das Pentagon dementiert Meldungen von einem teilweisen Rückzug der 41.000 US-Bürger aus dem Iran. BMW, dessen Teheraner Filiale bei der letzten Demonstration zerstört wurde, plant den Wiederaufbau und auch im Osten gratuliert man in Glückwunschtelegrammen aus Moskau und Peking dem neuen Premier Azhari zum Amtsantritt und wünscht „viel Erfolg“.


Vorläufige Bilanz ...

Die „Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung“ hat nach westlichen Schätzungen bisher über 20.000 Tote gekostet – auf Kosten des Widerstands. Die Durchführung der Befriedungsoperationen hat sich der Imperialismus einiges kosten lassen: Waffen und Munition. Die Moral gab's gratis, wie die Frankfurter Demonstration in einem Sprechchor zusammengefaßt hat:

„Deutsche Bürger stört kein Mord, geht's um's Öl und den Export!“

Der Schah läßt „ihm Nahestehende“ die Rückkehr zu einer Zivilregierung ankündigen. Ali Amini, der Architekt der „Weißen Revolution“, hält sich bereit. Von ihm stammt der zynische Spruch, Sandschabi könnte sofort entlassen werden, wenn er die gegenwärtige Verfassung des Iran anerkennt und einer Rückkehr Khomeinis stünde nichts im Wege, wenn er seine antimonarchistische Agitation aufgäbe. Kurz: die Opposition käme in den Genuß der Legalität, falls sie aufhörte Opposition zu sein.


... und Ausblick

Während die islamische Opposition die nächste Konfrontation an der Frage des Prozessionsverbots im Trauermonat Dezember entzünden will, sind die Arbeiter der Raffinerie von Teheran erneut in den Streik getreten. Die Streikenden verlangen die Freilassung der politischen Gefangenen. Die Rückkehr zur Stabilität, die die Militärregierung gegen alle „Unruhestifter gnadenlos“ durchsetzen will, stößt nach wie vor auf den Widerstand der Massen. Das Regime hat zwar jederzeit die Macht und die Stärke, Blutbäder anzurichten, die Störung der Wirtschaft schlägt aber um so nachhaltiger durch, je brutaler Armee und Polizei mit den Demonstrationen und Aktionen der Arbeiter und Bazaris auch Handel und Produktion lahmlegen. Die schrankenlose Ausbeutung der Massen durch die Pahlevi-Clique und die imperialistischen Metropolen hat den Widerstand erzeugt und jede Konzession des Regimes im politischen Bereich – zu ökonomischen ist es ohnehin nicht willens, weil die Herabdrückung der Massen unters Existenzminimum seine ökonomische Basis ist – wird von der Volksbewegung zur Eskalation des Widerstands benutzt, weshalb der Schah dem Volk „Undankbarkeit“ vorwirft. Die imperialistischen Nutznießer des Geschäfts mit Hunger und Mord beginnen – jüngsten Meldungen zufolge –, auf den Umstand zu reagieren, daß sie den Schah zwar halten können, die Bilanzverluste aber nun schon lange andauern. Die „Washington Post“ berichtet, Washington habe inzwischen vorsichtige Kontakte zur iranischen Opposition aufgenommen und den Schah darüber informiert. Die Absicht liegt auf der. Hand: man versucht den Schah zu einem Arrangement mit gemäßigten Führern der Opposition zu bewegen und umgekehrt, wovon man sich eine Schwächung der Widerstandsbewegung und eine Stabilisierung des Geschäfts verspricht. Dabei wird Druck auf den Schah ausgeübt, weil die Verluste bei einem solchen Deal zu Lasten der Pahlevi-Clique gehen, die einen Teil der Macht und ein Stück der Beute an die neuen Partner abgeben muß. Gleichzeitig rüstet man für den Ernstfall:

„Als völlig ausgeschlossen hat NATO-Generalsekretär Luns eine Intervention der NATO im Iran bezeichnet. Die Partner stünden aber wegen der Lage im Iran miteinander in Konsultation.“ (Süddeutsche Zeitung)

Hinweis:
Eine ausführliche Analyse der Lage im Iran findet sich in MSZ Nr. 25/1978 unter dem Titel „Imperialistische Schahraden“.

 

aus: MSZ 26 – Dezember 1978

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