Geisel-Befreiung in Entebbe:

BRAVO ISRAEL!

 

Darüber freut sich die zivilisierte Menschheit ...

Im fernen Afrika, in Entebbe in Uganda, hat die zivilisierte Menschheit einen Schlag gelandet, der vorübergehend die alltäglichen Sorgen der Zivilisierten vergessen gemacht und Erleichterung, Genugtuung, Freude, Begeisterung und Jubel ausgelöst hat. Begeisterung für einige Berufsterroristen aus Israel, ein „hochspezialisiertes Todeskommando“, das nächtlich und unerkannt sich auf den Weg machte, zu Luft und zu Wasser nach Uganda eindrang und in einem „blutigen Handstreich“ die 100 Geiseln (3 allerdings nunmehr als Leichen) aus der Hand der Entführer, der „palästinensischen Terroristen“, befreite. Der zivile Anführer dieses „Todeskommandos“, der israelische MP Rabin, beurteilte sein Werk mit vornehmer Zurückhaltung: „Ein Werk von großem Wert.“ Der ausländische Beobachter sah sich veranlaßt, die sittliche Qualität herauszustreichen: „Ein Sieg der Moral über die brutale Gewalt“, während die Bildzeitung mehr die charakterlichen Eigenschaften der Kontrahenten zu feiern und zu verdammen wußte: „Mit List gegen Muskeln, mit Hörte gegen Terror, mit Heldentum gegen Erpressung.“

Mit List gegen Muskeln – sehr listig von dem kleinen David Israel, daß er gegen einen so übermächtigen Gegner das raffinierte Mittel des staatlichen Gewaltapparats (vom Geheimdienst bis zum „Todeskommando“) einzusetzen weiß.

Mit Härte gegen Terror – eine Härte, die dem Terror einiges voraushat: Während die Terroristen mit ihrer Erpressung noch darauf spekulierten, daß dem israelischen Staat am Leben seiner Bürger etwas liegt, zeigte dieser, was man unter den Idealen der Menschlichkeit zu verstehen hat, daß der Mensch nichts gilt, wenn es um die Souveränität des Staates geht: „Ein Blutbad mußte in Kauf genommen werden.“ Umso besser, wenn dem Gerechten das Glück zu Hilfe kommt und nur drei israelische Staatsbürger zu beklagen sind (die aber immerhin für eine gerechte Sache geopfert wurden) – dabei fällt das Leben der 20 unzivilisierten Negersoldaten nicht ins Gewicht, ganz zu schweigen von den Terroristen, die bei dem einkalkulierten Blutbad eh nicht eingerechnet waren, galt der Liquidierung dieser Feinde der Menschheit („nicht nur sein Name war Böse“) doch die ganze Aktion.

Mit Heldentum gegen Erpressung – wie heldenhaft von einem Staat, der seine Existenz der Tatsache verdankt, daß er sich gewaltsam sein Land von den Palästinensern genommen hat und dieses mit Unterstützung der westlichen Welt tapfer behauptet, gegenüber denjenigen, die keinen staatlichen Gewaltapparat (geschweige denn Bataillone der westlichen Welt) zur Verfügung haben, um sich dagegen zu wehren, sondern das Mittel einsetzen, mit den Israeli erpresserische Geschäfte abzuschließen. Diese Selbstbehauptung des israelischen Staates erfordert von seinen Bürgern natürlich heldenhafte Opfer, was nicht zu vergleichen ist mit dem Einsatz der Terroristen, die, wenn ihr Geschäft nicht zustande kommt, „um Gnade winseln“, anstatt wenigstens bei ihrer Liquidierung Heldentum, also wahres Menschentum, zu zeigen.

 

... ohne Einschränkung

Die Staaten der zivilisierten Welt und ihre zivilisierten Zeitungssehreiber und Fernsehreporter haben keinen Anlaß, in ihrer Verherrlichung dieses staatlichen Gewaltakts, der Erfolg hatte, irgendwelche kritischen Gesichtspunkte zu berücksichtigen: „Dies ist nicht die Stunde ... “ Sie bekunden die Gewißheit, daß die Bürger ihrer Länder nicht bemerken, daß die staatliche Gewalt auf Gewissen und Moral geschissen hat; sie brauchen gerade deshalb auf die Empfindungen von Staatsbürgern kritischer Provenienz keine Rücksicht zu nehmen: Der Staat hat nun einmal kein Problem mit seiner Legitimität, wenn er seine Gewalt legitimiert. Das Rechtsgefühl der Bürger geht so weit, daß es den Rechtsstaat in der Defensive wähnt, wenn derartige kümmerliche Versuche unternommen werden, seine Herrschaft anzukratzen. Die praktische, vor aller Augen und Ohren vorgeführte Lehre, daß die Durchsetzung des Rechts eine gewalttätige und rücksichtslose Angelegenheit ist, ist für das Rechtsbewußtsein der Massen – und dessen ist sich die Journaille sicher – kein Anlaß, die staatliche Gewalt einmal von der Seite zu betrachten, daß sie selbst einmal Opfer dessen werden könnten, was sie feiern (und sei es nur die Einsicht, daß der Staat keine Bange um das Leben von Geiseln hat, wenn es um ihn selbst geht). Dem Bürger ist die kriegerische Aktion im Gegenteil willkommene Gelegenheit, die Gewalt seines Staates, deren Wirken nach innen er nicht wahrhaben will, in ihrer Anwendung gegen andere Staaten überaus zu schätzen, weshalb er auch keine Probleme damit hat, wie das Völkerrecht darüber denkt – in Afrika bei den Schwarzen geht's ohne viel besser. Die israelischen Bürger lassen es bei dieser Begeisterung freilich nicht bewenden. Sie sind der Meinung, daß ihr Militär noch gestärkt werden müsse, weswegen sie von ihrem Einkommen spontan gespendet haben, als ob die Erhaltung Israels als Vorkämpfer der westlichen Zivilisation, für die sie sich begeistert einsetzen, von ihrem Staatsidealismus abhinge und nicht vom Nutzenkalkül des Westens im Nahen Osten.

Auf der Basis dieser Begeisterung können die Politiker die Gunst des Augenblicks nutzen und nach einer Verstärkung der internationalen Terrorbekämpfung rufen, nachdem Israel mit soviel Erfolg im Sinne der internationalen Einheit gehandelt hat. Regierung und Opposition hierzulande stellen mit Genugtuung fest, daß aus dieser Angelegenheit kein Schaden für die Wahl entstanden ist. Die Regierung war entschlossen, „sowieso (!) nicht nachzugeben“; sie brauchte sich die Finger nicht schmutzig zu machen. Die Opposition hat diesen Entschluß mitgetragen und bringt den Gedanken der Wiedereinführung der Todesstrafe ein, gerade nachdem man die Terroristen vor lauter Achtung vor dem Leben umgelegt hat.

„Aus ihrer Verantwortung gegenüber dem menschlichen Leben müßten die Staaten auch ihre strafrechtlichen Mittel gegen den Terrorismus entscheidend verschärfen.“ (Stücklen)

Wenn nun die Journalisten neben ihrer Freude (Überzeugungsarbeit brauchen sie in diesem Fall nicht zu leisten) noch das Problem wälzen, daß bei dieser Aktion das Menschenrecht und nicht das Völkerrecht im Vordergrund stand (So bemerkt in der FR ein Karlheinz Krumm geradeheraus, daß „in Uganda die Israelis zum ersten Male nicht, wie die Juristen sagen, Nothilfe für bedrohte Bürger im eigenen Lande leisteten, sondern ihre Aktion auf fremdem Territorium durchführten, die nationale Souveränität eines anderen Staates also ignorierten.“), so lassen sie auf diese Weise nicht nur keinen Zweifel aufkommen an der Rechtmäßigkeit der israelischen Aggression, sondern nehmen die Gelegenheit wahr, dem ugandischen Staatspräsidenten die Schuld in die Schuhe zu schieben, was dieser sich auch gefallen lassen muß: „Präsident Amin hat aus seinem Land nicht gerade einen Rechtsstaat gemacht.“
Daß der Vorteil dieses Rechtsbruchs darin besteht, nicht wiedergutgemacht werden zu müssen (im Gegensatz zu der Strafe, die Rechtsbrecher, wie Terroristen, ereilt), begeistert den Journalisten und Staatsmann so, daß er aus diesem Glücksfall am liebsten ein Modell künftigen staatlichen Handelns machen möchte. Doch stellt er mit Bedauern fest, daß nicht überall Uganda ist:

„Kaum auszumalen, wenn bei einer ähnlichen Geiselnahme deutsche Fallschirmjäger“ (das waren noch Zeiten) „in Stockholm landen – ohne Kenntnis der schwedischen Regierung.“

(aus „Hochschulpolitik der Roten Zellen und Marxistischen Gruppen 1976/77. Ein Auswahl“)

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