35 Jahre EG (Teil I)

„Wirtschafts- und Währungsunion“ – „Politische Union“

Was ist „Europa“, was hat es vor?

Mit den „Römischen Verträgen“ von 1957 begannen Frankreich, die BRD, Italien und die Benelux-Staaten damit, aus Europa einen Super-Staat zu machen. Das wußten sie damals wahrscheinlich nicht. Was sie aber wußten, war: Mit der Weltordnung, wie sie die USA nach dem zweiten großen Krieg kraft ihres ökonomischen, militärischen und politischen Monopols für den Freien Westen installiert hatten, konnten sie nicht zufrieden sein. Diese Weltordnung war nicht gegen sie gerichtet, sie war aber auch nicht für sie eingerichtet.
Sie setzten die Europa-Idee in die Welt. Die ist seit 40 Jahren zuständig für den Nachweis, was für eine schöne Sache da gewollt wird. Sie kündet von einer Umkehr der in Europa hausenden Völker: Statt sich wie in ihrer durch manches Denkmal belegten Geschichte gegeneinander zu wenden, vertragen sie sich und tun sich zusammen. Die Staaten des alten Kontinents beschlossen, nicht mehr auf Kosten der anderen zu wirtschaften und sie zu bekriegen. Vorbei sind die Zeiten des nationalen Aufbruchs, der in der Bekämpfung der Nachbarn bestand, mit dem man ihre Macht zu brechen suchte und auf die Eroberung ihrer Reichtümer aus war. Unterlassen wird der allen nicht zuträgliche Imperialismus vergangener Zeiten, der zu zwei Weltkriegen geführt hat.Verzichtet wird auf ein politisches Programm, das auf Unterwerfung und Benutzung von Ländern zielt, die als Konkurrenten genommen werden statt als Partner.
Das Projekt Europa klärt darüber auf, wie wenig die Idee mit der Wahrheit zu tun hat. Keiner der beteiligten Staaten hat die Grundrechnungsarten aufgegeben, die seinen jeweiligen Rechtsvorgänger zur Konfrontation bewogen haben. Das Kalkül, das ihre Regierungen anstellen, dreht sich nach wie vor um Reichtum, der sich in Macht ummünzen läßt – und umgekehrt um Macht, die den Zugang zu mehr Reichtum eröffnet. Denn der Beschluß, ein Bündnis einzugehen, lautet ausdrücklich: Die europäischen Nationen legen ihre Potenzen zusammen, da es jeder für sich an ebendenselben gebricht. Ein Beschluß zur Bescheidenheit ist das nicht, sondern die berechnende Reflexion auf das Kräfteverhältnis in der Staatenwelt und auf dem Weltmarkt und der berechnende Umgang damit – nur so kann es so weit kommen, daß das vielgerühmte Miteinander zum „Gebot der Vernunft“ erhoben wird. Der Mangel an Mitteln, der den Staaten Europas mit dem Verlauf und den Ergebnissen des 2.Weltkrieges aufgeherrscht worden ist, hat sie diesen Weg gelehrt – einen Weg, der sie zum (Wieder-)Erwerb der Mittel führen soll, durch die sich maßgebliche Nationen auszeichnen und gegen andere erfolgreich betätigen. Den Staatenlenkern zumindest kann man nicht vorwerfen, vergessen zu haben, daß ein Bündnis – auch wenn es „bloß“ als Wirtschaftsbündnis daherkommt – noch jedesmal einen Gegner hat, sonst käme es nämlich nicht zustande. Auch war ihnen klar, daß ein Wirtschaftsbündnis sich nicht in diesem Zweck beruhigt, sondern dies Voraussetzung für Höheres, was Staaten so im Sinn steht, ist.
Es geht bei Europa um nichts Geringeres als um das Bestehen der Konkurrenz mit den USA – einer Konkurrenz, die darum so verwickelte und verwirrende Züge annahm, weil man sich wegen der realsozialistischen zweiten Supermacht der realkapitalistischen ersten Supermacht politisch-militärisch auch noch anschließen durfte und wollte. Mit dem Wegfall der zweiten Supermacht hat sich da einiges gründlich geändert und geklärt – und für den Weltmachtkonkurrenten Europa ist die neue „Lage“ entstanden, sich nun endgültig als solcher er- und beweisen zu müssen.

Konkurrenz der Nationen – worum dreht sich die eigentlich?

Daß die EG zur „Weltwirtschaftsmacht“ aufgestiegen ist, kann inzwischen ebenso als Gemeinplatz durchgehen wie die Feststellung, daß sie diese Stellung in Konkurrenz zu, also auf Kosten der USA errungen hat. Das hält alle Welt nämlich für einen quasi natürlichen Zustand der Weltpolitik, daß sich Nationen entlang von Tabellenplätzen in einer Rangordnung unterscheiden, die sich irgendwie danach gestaltet, über welche „ökonomische Macht“ die jeweiligen Souveräne verfügen. Und auch das will noch jeder Journalist, jeder Stammtischredner und jedes weltwirtschaftliche Universitätsseminar wissen: daß es auf die Stellung der eigenen Nation in dieser Rangfolge schwer ankommt, weil man da auf- und absteigen kann; daß also in dieser schönen Welt der Weltwirtschaft Nationen darum konkurrieren, wer von ihnen als „Wirtschaftsriese“ das Recht erobert, anderen „Habenichtsen“ sagen zu können, wo es lang geht. Worin eigentlich diese „ökonomische Macht“ besteht, die das Wort eines Kohl auf G7-Konferenzen so unwidersprechlich macht; wie eigentlich Staaten, die selbst gar nichts produzieren, ihre Macht aus einem „Wirtschaftsertrag“ beziehen, den erklärterweise gar nicht sie, sondern „die Privatwirtschaft“ anhäuft – das will vor lauter Sorge um den nationalen Tabellenplatz in dieser Konkurrenz gleich gar keiner mehr wissen.
Es handelt sich bei dieser eigentümlichen Konkurrenz nicht um ein immerwährendes Gesetz der Staatenwelt. Der moderne Weltmarkt, auf dem die USA, die EG und Japan sich derzeit neue Schlachten liefern, ist das ureigene Produkt kapitalistischer Nationen; ihre Erfolgsmaßstäbe sind es, die ihren Verkehr untereinander bestimmen.
Solche Staaten betreuen mit ihrem Gewaltmonopol eine „Marktwirtschaft“, in der Produktion, Verteilung und Konsum dann als eine gelungene Sache gelten, wenn sie sich rentieren. Sie finden statt, weil und damit an ihnen Geld verdient wird, wenn sie sich zur lohnenden Investition von Kapital eignen. Der Staat befördert ein ‚Wirtschaftswachstum‘, das in der Mehrung von Privateigentum besteht; wenn er am Ende des Geschäftsjahres den gesamten unter seiner Hoheit erfolgten Geldverkehr zu einem Bruttosozialprodukt zusammenzählt, dann hat nicht er sichbereichert. Daß die einschlägigen Statistiken als Inbegriff seiner ökonomischen Macht gehandelt werden, verweist zunächst einmal nur darauf, daß der Staat sich einiges leisten kann. Schließlich bedient er sich an den Umsätzen des Marktes, an Besitz und Einkommen seiner Bürger, um seinen Haushalt zu finanzieren. Von diesem bestreitet er die vielgerühmten Dienste an Demokratie und Marktwirtschaft; sie betreffen alles für das Funktionieren des freiheitlichen Systems Erforderliche – und sie umfassen vom Straßenbau über die Pflege des Strafrechts, die Besetzung des Parlaments, die Regelung der anfallenden Armut bis zur Organisation des Geldwesens manches, was die immer wieder aufgelegte Botschaft vom Staat, der sich aus „der Wirtschaft“ heraushält, leicht verrückt erscheinen läßt.
Solche Staaten übernehmen mit ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik nicht nur die Regie der Geldvermehrung, die auf ihrem Hoheitsgebiet stattfindet. Wenn sie ihre politische Gewalt zur Sicherung von Freiheit und Gleichheit beim rentablen Umgang mit Geld und Arbeit einsetzen, stoßen die Geschäfte stets auf entscheidende Grenzen. Es sind die Grenzen der Nation, welche die Geldvermehrung auf die im Lande vorfindlichen Geschäftsmittel beschränken. Deshalb verschafft ein kapitalistischer Staat seiner „Wirtschaft“ den Zugang zu auswärtigen Märkten mit ihren Rohstoffen und Produkten, mit deren Kaufkraft und Investitionsgelegenheiten. Damit bewährt er sich nicht nur auf einem weiteren Feld als Freund und Förderer der marktwirtschaftlichen Geldvermehrung.

Seinen Dienst am kapitalistischen Produzieren und Handeln verrichtet er dadurch, daß er das heimische Geschäftsleben als Instrument für seinen Umgang mit anderen Souveränen einsetzt:
– Das „Angebot“, das eine Nation der anderen unterbreitet, wenn sie auf die Internationalisierung des Geschäfts, Verkehr des Kapitals über die Grenzen hinweg, dringt, taugt nur etwas, wenn die beteiligten Firmen auch Geld verdienen können. Das im Innern jedes Staats durch die Staatsgewalt garantierte Geld, der als nationales Zahlungsmittel kursierende Kredit, muß sich als brauchbares internationales Zahlungsmittel bewähren. Dieselben Staaten, die ihren Haushalt durch beständige Verschuldung ausstatten, verlangen vom auswärtigen Handel nichts Geringeres, als daß dessen Bilanzen ihren Kredit solide machen.
– Dieses „Wunder“ kommt zustande, aber nicht für alle Nationen; die Waren-, Geld- und Kapitalströme, die für die „Härte“ der einen Währung sorgen, bewirken nämlich die mangelnde Nachfrage nach den Zahlungsmitteln anderer Nationen. Und genau darauf ist das Streben der Nationen im internationalen Handel gerichtet: Die Konkurrenz der Geschäftsleute, die kaufen, produzieren lassen und verkaufen, um Gewinn zu machen, soll dahin führen, daß sie ihren Reichtum in Form des eigenen nationalen Geldes mehren – denn so erobern sich Staaten die ökonomischen Freiheiten, die sie sich wünschen. Insofern konkurrieren sie mit ihresgleichen darum, die internationale Geschäftswelt auf sich zu verpflichten – die Sicherheit und Rentabilität von Geschäften von ihrem Geld abhängig zu machen.
– Diese ökonomische Macht von Nationen, die auf das Privateigentum nichts kommen lassen, gestattet ihnen die Ausstattung ihres Gewaltapparates; und den haben sie auch nötig, um ihren auf Kosten des Reichtums anderer Nationen gehenden Wohlstand zu sichern. Denn Gewalt ist das Mittel zur Erhaltung wie zur Emanzipation von „Abhängigkeiten“, die der friedliche Weltmarkt so hervorbringt. Unter ihrem „Schutz“ allein gedeihen die Geschäfte, für die das auf dem nationalen Territorium organisierte Produzieren die entscheidende Bedeutung erhält. Welterfahrene Bündnispolitiker künden täglich davon, wenn sie nationalistische Behinderungen des Freihandels und internationalistische Öffnung der Märkte gegeneinander abwägen: Der heimische Standortdient dazu, Reichtum aus aller Welt an Land zu ziehen und das nationale Geld zum unverzichtbaren Geschäftsobjekt in aller Herren Länder zu machen.
Die ökonomische Macht einer Nation – das ist die Macht, die ihr darüber zufließt, daß die ganze Welt ihr Geld braucht und haben will, auf ihr Geld scharf ist als gültige Daseinsform des Produktionszwecks, auf den es allen ankommt, der Vermehrung von Kapital. Eine Nation, die über so ein Geld verfügt, verfügt über ein Machtmittel gegenüber anderen Nationen; allerdings über ein Machtmittel eigentümlicher Art. Es verdankt sich nämlich nur bedingt eigenen Anstrengungen der Staaten, sich dessen zu versichern. Die kapitalistischen Staatsgewalten sorgen, jede auf ihrem Territorium, dafür, daß sich alles Produzieren und Konsumieren am Maßstab des Geldes zu bewähren hat; und die Geschäftsleute folgen dieser Maßgabe. Der Erfolg, den sie dabei jeweils erzielen, fällt allerdings nicht zusammen mit dem Nutzen und Schaden der Staaten aus der privaten Geschäftstätigkeit.
– Indem die Staaten eine innere Geldzirkulation einrichten, laden sie die internationale Geschäftswelt ein, bei ihnen tätig zu werden. Den Agenten der privaten Geldvermehrung stellen die Staaten das Geldmaterial, in dem Geschäfte abgewickelt und bilanziert werden, in Form von nationalen Schuldtiteln, von Kreditzeichen, bereit. Auf der Grundlage importieren und exportieren Kapitalisten quer über alle Grenzen und benutzen Land und Leute nach Maßgabe dessen, wie es sich für sie lohnt; d.h. sich in einem nachzählbaren Überschuß an Geld niederschlägt.
Das Angebot zur Nutzung der nationalen Kreditzirkulation wird überall wahrgenommen; allerdings in unterschiedlicher Weise. Das Geld mancher Staaten benutzt die private Geschäftswelt bloß als Durchgangsstadium für die Erwirtschaftung eines Überschusses, den sie dann mitsamt dem zurückgeflossenen Vorschuß in einer anderen Geldsorte festhält. Das Geld anderer Nationen dient ihnen dagegen als Material, in dem sich das Geschäftsergebnis verläßlich festhalten und als Ausgangspunkt für neue Geschäftstätigkeit nutzen läßt. So hat zwar überall auf der Welt jedes Ding seinen Preis, an dem manches Bedürfnis scheitert. Aber nicht alle realisierten Preise und Erträge gelten der Geschäftswelt als gültiges Resultat ihrer Mühe: also als Wert, für dessen Vermehrung allein es sich zu kaufen, zu produzieren und zu verkaufen lohnt.
Die Wirkung dieser unterschiedlichen Benutzung auf die nationalen Gelder ist allgemein bekannt: Es gibt „schwache“ und „starke“ Währungen. Die Nation, deren Geld nur als Durchlaufmittel in Dienst genommen wird, muß erfahren, daß die von ihr in Umlauf gesetzten Kreditzeichen immerzu als Schulden an sie zurückfließen. Die Nachfrage nach ihrem Geld erweitert sich nicht; es wird vielmehr nach vollzogenen Umsätzen immer wieder abgestoßen und fließt zurück an die Nationalbank, die dafür fremdes Geld, „harte Währung“, herauszurücken hat. So kommt unterm Strich heraus, daß die einzige zusätzliche Nachfrage nach diesem Geld die ist, die der Staat selbst stiftet, indem er der Geschäftswelt Sonderangebote macht: also sein Geld für immer niedrigere Zinsen („Diskontsätze“) rausrückt oder, was unterm Strich dasselbe ist, ihr in Form von Zinsen auf Staatsschuldpapiere immer mehr dafür zahlt, daß sie es benutzt. Die Wirkung dieser staatlichen Kreditvermehrung stellt sich am nationalen Geld so dar, daß die Kreditzeichen sich als Geld ent-werten, also eine nominell immer größere Masse von ihnen immer weniger Geldvermehrung indiziert: Inflation.
Umgekehrt sieht die Sache für Nationen aus, deren Kredit die Geschäftswelt festhält und stets erneut für Gewinnproduktion in Umlauf bringt. Diese vermerken eine steigende Nachfrage nach ihrem Kredit. Der Umfang, in dem dieses nationale Geld zirkuliert, erweitert sich und damit wächst die Masse Reichtum, auf den dieses Geld Zugriff hat. Damit verfügt der Staat, der dieses Geld betreut, über eine eigene autonome Geldquelle. Er kann seine eigenen Schuldtitel als staatliches Zahlungs- und Verschuldungsmittel benutzen und damit den Umfang dessen erweitern, was er sich leisten will, um die von ihm betreute kapitalistische Lebenswelt zu betreuen und voranzubringen.

So erzeugt die freie Benutzung aller nationalen Kredite durchs Kapital auf der einen Seite Nationen, deren Geld Zugriff auf Reichtum eröffnet, und auf der anderen Seite solche, die sich als ohnmächtig erweisen, ihr Geld zum Mittel ihres nationalen Fortkommens zu machen.
– Diese Verteilung von Macht und Ohnmacht richtet zwischen den Nationen Abhängigkeiten ein:
Nationen mit „schwacher“ Währung bemerken an der Forderung der Geschäftswelt nach Eintausch ihres „schlechten“ Geldes gegen „gutes“ nicht nur ihre Abhängigkeit von den Kalkulationen des Kapitals, sondern ihr Angewiesensein auf das Geld „reicher“ Nationen. Ihr nationales Wirtschafts- und Staatsleben beruht längst auf dem internationalen Hin und Her von Ware und Geld und kommt deshalb in dem Maße zu Schaden, wie die Geschäftswelt mangels Zugriff auf „echtes“ Geld das Interesse verliert, ihr Geld als Geschäftsmittel zu benutzen. Als Schranke für die private Reichtumsvermehrung bei sich diagnostizieren solche Staaten folgerichtig „Devisenmangel“, dem durch Export, bzw. staatliche Herstellung von Exportfähigkeit, beizukommen sei. Sie akzeptieren das Verdikt des Kapitals, daß ihre Kreditzeichen bloße Schulden seien und das fremde Geld dasjenige, auf das es im nationalen Geschäftsleben zuallererst anzukommen habe. Daß siekeinen Kredit haben, läßt sie nicht irre werden am Projekt, staatliche Betreuer der Kapitalvermehrung sein zu wollen. Im Gegenteil: Dann muß die nationale Wirtschaft eben dadurch vorankommen, daß sie fremdem Kredit dient.
Genau umgekehrt sieht es für die Nationen aus, deren Geld die Geschäftswelt in Wert setzt. In dem Maße, wie der unterlegenen Konkurrenz die Verfügung über eigenen Kredit abgeht, wächst ihnen die Freiheit zu, dafür zu sorgen, daß die Nationalbanken ihrer schwächeren „Partner“ ihren Kredit bekommen. Indem die Herren „starker“ Währungen den Herren der „schwachen“ die Mittel zuspielen, um der Forderung der Geschäftswelt nach jederzeitigem Umtausch nachkommen zu können, schwingen sich die einen zum Garanten dafür auf, daß die Währung der anderen überhaupt Kaufmittel bleibt. Der „reichen“ Nation bzw. ihren Banken tut sich damit eine neue Geschäftsquelle auf; und der unterlegenen Nation wächst die neue Aufgabe der Schuldenbedienung zu.
– Die Abhängigkeit von fremdem Geld erzwingt die Unterwerfung solcher Nationen unter die Hüter dieses Geldes. Das eröffnet Politikern aus „reichen“ Ländern die Gelegenheit, sich der Abhängigkeitsverhältnisse zu bedienen, die das Geld herstellt. Ihre ökonomische Macht über andere Nationen kommt nicht als Diktat daher und ist auch keines: Die Befugnis, ihren schwächeren Mitbrüdern nicht bloß in deren Wirtschaftsleben hinein-, sondern dieses gleich ganz zu regieren, wächst ihnen aus Sachzwängen der Geldvermehrung zu, die das Wirtschaftsleben beider Nationen bestimmt und um deren Beförderung es beiden Seiten geht.
Denn die politischen Hüter des guten Geldes sind an der Weltmarktuntauglichkeit von „Weichwährungsländern“ gar nicht interessiert. Sie wissen jede Menge Nutzen, den ihr Geld daraus ziehen kann, daß die anderen keines haben. So versteht es sich von selbst, daß die Kredite, die sie vergeben oder verbürgen, nicht bloß bedient sein wollen. Sie wären keine „Hilfe“, kämen sie nicht im Verein mit lauter guten Ratschlägen, wie die minderbemittelte Nation sich aus ihrer mißlichen Lage befreien könnte. Da fällt den Kapital„gebern“ manches ein, was die Hilfsbedürftigen noch zu leisten hätten, damit ihr nationales Wirtschaftsleben endlich dazu taugt, das Geld zu verdienen, das ihnen fehlt. Wirtschaftsminister treten mit Industriellen und Gewerkschaftern im Gepäck im Ausland an, um neue Konditionen für Kapitalanlage, Gewinntransfer, Besteuerung etc. auszuhandeln, ohne deren Erfüllung es wirklich keinem Kapitalisten zugemutet werden könne, sein gutes Geld zu riskieren. Das läßt sich durchaus durch Sonderangebote locken; und wenn das nicht gelingt, läßt es sich eventuell nahebringen, daß auch „arme“ Staaten manches besitzen, was Kapitalisten gut gebrauchen können, wenn es nur billig genug hergegeben wird. Das ist mitnichten eine Einmischung in innere Verhältnisse, sondern bloß der Verweis auf die Sachzwänge des Geldes, dem doch beide Nationen zu Diensten sein wollen.
So sind die Genschers, Möllemanns und Co. dauernd unterwegs in Sachen Beratung der Opfer der Weltmarktkonkurrenz, wie sie sich zur Leistungsfähigkeit der Sieger durch Befolgung von deren Rezepten hinaufkämpfen könnten. Daß diesem Projekt so wenig Erfolg beschieden ist, liegt allerdings daran, daß die Quellen der Geldvermehrung ein wenig ungleich verteilt sind. Die gehen den einen ebenso ab, wie die anderen in wachsendem Maße darüber gebieten.

„Weltwirtschaftsnationen“ kommandieren ein nationales Wirtschaftsleben, das ihren Bilanzen als bleibende Quelle wachsender Überschüsse taugt. Ihr Geld-Reichtum beruht auf einer Warenproduktion, die überall auf der Welt ihren gewinnbringenden Markt hat. Auf ihrem Territorium findet eine Produktion statt, die so produktiv ist, daß sie ein ständiges Mehr an Waren hervorbringt, die sich auswärts, in Konkurrenz zu in anderen Staaten produziertem Warenprodukt, mit Gewinn verkaufen lassen; so produktiv, daß sich das vermehrt zurückfließende Geld wiederum dort anzulegen lohnt, wo dessen Produktion stattfindet. In diesen Staaten bringt das Geschäftsleben ständig nach Rate und Masse wachsende Kapitalüberschüsse hervor, deren Verdienst und Verwendung dafür sorgen, daß der Nationalbank ständig Geld von außen zufließt. So sortieren die Gesetze der Geldvermehrung, die das Kapital exekutiert, die Welt in Staaten, wo alle sachlichen Mittel der Reichtumsproduktion Mittel der Wertproduktion sind, und in solche, wo Leute, Fabriken, Grund und Boden wert-los sind, so sie nicht auswärtiges Geld vermehren – so gut sie für sich genommen auch zur Ernährung der dortigen Menschheit taugen könnten.
So ist in der Staatenwelt ein Machtverhältnis etabliert, das sich aus sich heraus lohnt, weil es Unterordnung nicht erst erzwingen muß, sondern die schon etablierte Unterordnung benutzt und deshalb auch gar nichts falsch machen kann. Denn auch die unterlegenen Nationen haben ja etwas davon: Indem sie ihre Macht über Territorium und Leute einsetzen, um dem fremden Geld Verdienstmöglichkeiten zu schaffen, bleiben sie geschätzte Mitglieder der Staatenwelt. Schulden und Hunger dort, florierendes Kapitalwachstum hier sind dann eben die beiden, einander prächtig ergänzenden Seiten einer Weltordnung von Staaten, die aufs Geld nichts kommen lassen wollen. Und die so erzeugte Hierarchie der Staaten leuchtet noch jedem Dödel als sachgerechtes Resultat allen Wirtschaftens ein – vor allem, wen er auch noch glauben darf, sein Fleiß habe „unserem“ Geld zum Siegeszug verholfen.
Mit der Sortierung der Welt in „reiche“ und „arme“ Staaten ist diese Weltordnung allerdings noch lange nicht fertig. Die durchgesetzte Herrschaft guten Geldes über schlechtes beendet nicht die Konkurrenz der Weltmarktsieger darum, wessen Geld in entscheidendem Umfang den Reichtum der Welt auf sich zieht. In der jeweiligen nationalen Kapitalproduktivität der Staaten, die sich als Standort des Kapitalwachstums beweisen, ist das Ergebnis eines Vergleichs festgehalten, den das Kapital dauernd praktisch zwischen diesen Standorten vollzieht. Masse des jeweils angelegten Kapitals, Rate von dessen Vermehrung bestimmen über das relative Maß, in dem ein „hartes“ Geld sich gegen das andere durchsetzt. Wenn ein Staat es hinkriegt, sich neu als ein solcher Standort zu bewähren, dann geht das zu Lasten derer, die sich davor als Heimat des Kapitalwachstums etabliert hatten. Eben darum geht es in der Konkurrenz USA – EG.

 

Die Weltwirtschaftsordnung des Dollar:
Chance und Hindernis für die kapitalistische Konkurrenz

Der Wille der EG-Staaten zur ökonomischen Macht hatte es mit einer Lage aufzunehmen, in der die ökonomische Macht einer Nation unumschränkt galt: die der USA. Die Weltmarktkonkurrenz in Geldfragen war erst einmal entschieden: Das Geld der USA, der Dollar, hatte als einziges Weltmarktkrise und -Krieg ohne Entwertung überstanden. Dollars waren das einzige Geld, das sich für Kapitalisten zu verdienen lohnte und um das Staaten als Kredit nachsuchten. Was das Geld der kapitalistischen Konkurrenz im Vergleich dazu noch hermachen konnte, war zweifelhaft: Die alten Kolonialmächte waren bis über beide Ohren an die USA verschuldet, und die Verlierernationen hatten ohnehin die Souveränität über ihr Geldwesen an das Militärregime der Sieger abgegeben.
Auf dieser Grundlage gingen die USA daran, der unterlegenen kapitalistischen Konkurrenz ein Angebot zu machen. Das hieß: Wir, die USA, stellen euch unser Geld als Kredit zur Verfügung; ihr, die restliche Staatenwelt, öffnet unserem Geld eure Märkte und Standorte, damit der Dollar sich an eurem Geschäftsleben beteiligen kann.
Mit Recht waren die USA sich sicher, daß die anderen Nationen dieses Angebot gar nicht ablehnen konnten. Der Kredit, den die USA in Aussicht stellten, sollte ja in einem Geld erfolgen, das von sich behaupten konnte, nicht bloß ein nationales Kreditzeichen zu sein, das seinen Wert im Vergleich mit anderen staatlichen Kreditgeldern zu erweisen habe; sondern wirklicher Wert, gültige und unbestreitbare Daseinsform des Geldreichtums. Zum Beweis verwiesen die USA auf die bei ihnen aufgehäufte Geldware Gold, mit dem zuguterletzt die anderen kapitalistischen Nationen bei ihnen ihre Schulden hatten begleichen müssen. Ihr Nationalkredit war „gedeckt“, sprich: Der Dollar war gold=gleich, was die USA mit der Selbstverpflichtung auf ein festes Austauschverhältnis Dollar/Gold untermauerten. Eben deshalb wurden die nationalen Gelder der unterlegenen Staatenwelt überhaupt erst wieder durch den Dollar-Kredit zum brauchbaren Angebot für eine Geschäftswelt, die „sicheres“ Geld verdienen wollte. Der Weltmarkt bestand eben in nichts anderem als im Dollargeschäft; die Beteiligung an ihm war ohne Dollars nicht möglich; der Dollarkredit sorgte dafür, daß die kreditierten Nationen sich am Weltmarkt beteiligen konnten. So verfertigten die USA aus einem Zustand bedrohlicher Erpressung eine einzige Chance für Staaten, die wieder reich und mächtig werden wollten: ihr Geld, das nichts war, durfte und sollte sich mit Hilfe des Geldes, das alles war, auf dem Weltmarkt bewähren.

Die USA gaben sich aber nicht zufrieden damit, daß der Dollar ökonomische Macht war und die nationalen Geldzirkulationen (fast) der ganzen Welt als Unterabteilungen einer Dollar-Vermehrung fungierten. Eben weil sie die Verpflichtung der Welt auf ihr Geld für ein einmaliges Angebot an diese hielten, sollte das damalige Ergebnis der Weltmarktkonkurrenz in neue, den USA nützliche Verkehrsformen zwischen den Staaten übersetzt und damit im Prinzip unumkehrbar gemacht werden. Die USA trafen Vorsorge, daß „nationale Sonderinteressen“ – allemal der Titel für die Interessen der unterlegenen Staatenwelt – der Mehrung von Dollar-Reichtum nichts in den Weg legen konnten: Im Vertrag von Bretton-Woods vereinbarten sie mit dem Rest der Staatenwelt ein System von Regelungen und Institutionen, die dafür sorgen sollten, daß auch künftig keine nationalen „Hemmnisse“ der Dollar-Vermehrung Schranken auferlegten. Neue politische Einrichtungen sollten als Instrumente dafür fungieren, daß Märkte und Anlagesphären in aller Welt dem Dollar-Kapital zugänglich gemacht und offengehalten würden, US-Unternehmen damit an jedem Geschäft mitverdienen könnten, das auf der Welt ins Laufen käme. So sollten sich internationale Mechanismen herausbilden, die dem Dollar seine wachsende Vermehrung sichern würden. Das war durchaus US-national gedacht, sollte aber den Nutzen anderer Nationen durchaus nicht ausschließen. Ganz im Gegenteil: Die USA gingen selbstverständlich davon aus, daß der politisch sichergestellte, freie Zugang des Dollar zu jeder Geschäftsgelegenheit, die sich auf der Welt bieten würde, das entscheidende Mittel für einen allgemeinen, weltweiten Wirtschaftsaufschwung sei; und daß dies Ergebnis natürlicherweise damit zusammenfallen würde, daß der Dollar zum bevorzugten Nutznießer des „freien Weltmarktes“ würde.
Die USA nutzten also die Sachlage, daß sie als einzige Nation dem kapitalistischen Geschäftsleben mit ihrem Geld ein Angebot zu machen hatten, dazu, um prinzipiell neu festzulegen, wie zukünftig die Konkurrenz der Nationen um Erträge aus dem Weltmarkt zu laufen hätte. Als Agent des Dollar-Imperialismus betätigten sich die USA als radikaler Kritiker jedes „Wirtschaftsnationalismus“: erklärten also nationale Wirtschaftspolitik anderer Staaten für nur insoweit daseinsberechtigt, als diese sich zum Erfüllungsgehilfen einer Dollar-Vermehrung machte und darin eine Chance zum nationalen Wohlstand erblickte. Der bloße Tatbestand, daß andere kapitalistische Nationen das Weltmarktgeschäft des Kapitals unter dem Gesichtspunkt von Nutzen und Schaden für ihre eigene nationale Zahlungsfähigkeit benutzen, beurteilen und korrigieren wollen, galt ihnen als störende Dazwischenkunft in einem ohne solche „Einmischung“ viel besser florierenden Weltmarkt. Das nationale Programm, das die USA den anderen Nationen mit ihrem „freien Weltmarkt“ verordneten, war durchaus eigentümlich: Sie sollten souverän über ihre nationalen Reichtumspotenzen verfügen, diese im Interesse ihres nationalen Fortkommens nutze, und eben deswegen alles unterlassen, was der freien Bewegung des Kapitals zum Schaden gereichen könnte; sie sollten um nationale Erträge aus dem Weltmarkt konkurrieren und zugleich nationale Korrekturversuche gegen eintretende Schäden aus dieser Konkurrenz unterlassen.
Das war vom US-Standpunkt aus durchaus konsequent: Schließlich hatten sie ja die Realität auf ihrer Seite. Die Dollar-Vermehrung hatte sich praktisch als logischer, weil erfolgreich durchgesetzter, endgültiger Zweck allen Wirtschaftens auf dem Globus erwiesen. Im Verhältnis dazu mußten etwaige Anstrengungen anderer Nationen, ihre nationalen Märkte dem Zugriff des Dollar zu entziehen, als unzweckmäßige „Abschottung“, ja als Ausklinken aus einer „Lage“ erscheinen, in der Kapitalwachstum bloß als Dollar-Wachstum zu haben war. Welchen Sinn sollte es denn haben, wenn ökonomische Habenichtse ohne eigene Mittel ohnehin zum Scheitern verurteilte Versuche unternehmen würden, die notwendig eintretenden Konkurrenzergebnisse umzukehren und damit einem allseitigen Aufschwung der Weltwirtschaft sowie ihrem eigenen ökonomischen Fortkommen Steine in den Weg zu legen? Zu ihrem eigenen Wohl mußten die USA sie daran hindern. Und woher, wenn nicht aus den „reichen“ USA, sollte denn das Geld kommen, mit dem auch in „armen“ Staaten ein Geschäft in die Gänge kommen konnte? Wollte denn nicht die Geschäftswelt aller Herren Länder gerne in die USA verkaufen und „stabiles Geld“ verdienen; war nicht alle Welt scharf auf amerikanische Waren, die man ja leider nur gegen Dollar bekommen konnte? Was hatten die Verliererstaaten denn ihrer Geschäftswelt schon an Geschäftsgelegenheiten zu bieten, die sie nicht sofort wieder auf ihre Abhängigkeit vom Dollar verwiesen? Wie wollten sie etwa in Konkurrenz zum Dollar eine eigene nationale Zahlungsfähigkeit hinkriegen, wo sich doch gerade erwiesen hatte, welches Geld eindeutig überlegen, wessen wertlos war, wer also die Macht zum Setzen von Konditionen auf dem Markt hatte und wem die abgingen?
„Reiche Staaten“ sind sich eben gewiß, daß der Dienst, den sie von anderen Staaten mit ihrem Geld erzwingen, recht eigentlich ihr Dienst an denen ist, die über ein so schönes Mittel nicht verfügen. Daß es ihre Gewalt ist, die dieses Ergebnis erzwungen hat und es sichert, fällt da glatt unter den Tisch, wo sich so schlagend offenbart, daß die ganze Welt nach Dollars schreit. An diesem Standpunkt, den die USA damals dem Rest der Welt aufmachten, hat sich bis heute nichts geändert; bloß daß es heute vornehmlich andere sind, die so großkotzig auftreten und von „Hilfe“ sprechen, wenn sie ihr Geld als Erpressungsmittel einsetzen. Aber davon später.

Daß sie mit dem Dollar über souveräne ökonomische Macht verfügten, war die eine praktische Grundlage, auf die die USA sich bei der Einrichtung ihrer „neuen Weltwirtschaft“ beriefen. Die andere Grundlage war, daß der Rest der Staatenwelt – bis auf bezeichnende Ausnahmen – genau das wollte, was die USA ihnen anboten: wieder zum erfolgreichen Betreuer einer kapitalistischen Wirtschaft werden. Sie waren einverstanden damit, daß ihre Aufstiegschance darin zu liegen hatte, wie gut sie dem Dollar-Kapital eine Heimat zu bieten vermöchten; und sie erklärten sich bereit, dies unter der Regie von Regelungen zu tun, die ihnen manches verboten, dafür aber neue Mittel in Aussicht stellten.

„Konvertibilität“

Das Angebot des Währungskredits machten die USA dadurch wahr, daß sie die anderen nationalen Gelder durch ein System fester Wechselkurse an den Dollar banden. Jeder Währung war damit bescheinigt, daß sie „so gut wie“ Dollar sei. Damit war die Austauschbarkeit der nationalen Gelder für die Geschäftswelt, die über die Grenzen hinweg ein- und verkauft, prinzipiell garantiert; der Dollar stand für die prinzipielle Geschäftsfähigkeit der anderen Währungen gerade.
Auf der Grundlage setzten die Notenbanken der anderen Staaten ein eigenes Geld in Zirkulation, statteten ihre Geschäftswelt mit Kredit aus und sorgten so für das Anlaufen des Geschäfts auf ihrem Territorium. US-Kapitale, die bereitstanden, um sich an diesem Aufbauwerk zu beteiligen, gab es genug. Von Deutschland bis Brasilien hub ein fröhliches Kapitalvermehren an; welchem nationalen Geld dies am Ende nutzte, war eine andere Sache. Denn von vornherein stand ja fest, daß sich die Frage, was das nationale Geld als Geschäftsmittel wert war, letzten Endes doch wieder an seinem Verhältnis zum Dollar entschied. Dollarbesitzer konnten sich überall einkaufen und taten es auch. Aber umgekehrt war die „Konvertibilität“ noch keine Garantie dafür, daß der Besitz etwa von DM tatsächlich die Sicherheit einschloß, diese jeweils wieder in Dollar umtauschen zu können. Dies hing von der jeweiligen Verfügung der Nationalbanken über Dollar ab. Deshalb war die Herstellung der Geschäftsfähigkeit der anderen Währungen mitnichten eine Garantie dafür, daß nun die jeweilige nationale Geschäftswelt auch über Dollars in ihrem Importbedürfnis entsprechender Menge verfügten. Die dafür nötigen nationalen Devisenreserven wollten erst einmal durch Export verdient sein, wenn sich die Dollarkredite, die die USA ihren „Partnern“ erst einmal großzügig gewährten, nicht flugs in wachsende Dollarschulden verwandeln sollten.
Die Abhängigkeit der inneren Märkte anderer Staaten vom Dollar, die Definition von deren Ausbaufähigkeit durch das Maß, in dem der jeweiligen nationalen Wirtschaft das Dollarverdienen gelang, war damit etabliert. Der Umstand, daß Kapitalisten gar nicht umhin kommen, sich allemal nach dem „stabilsten“ Geld umzusehen, weil es ihnen auf ein wertbeständiges, für jedes denkbare neue Geschäft verwendbares Geld als Ertrag ihrer Mühen ankommt, kam damit quasi automatisch dem US-Geld zugute. Das war Ausgangspunkt und Grundlage jedes fremden Kredits, den es auf der Welt sonst noch gab; jedes andere Geld mußte sich daraufhin besichtigen lassen, wie gut sich damit Dollars machen ließen.
 

IWF

Daß Nationen, die ganz im Sinne dieser neuen Weltmarktfreiheit ihre nationale Geschäftswelt zum Akkumulieren anhalten, über kurz oder lang Probleme mit ihrer Zahlungsbilanz bekommen müssen, war dem Hüter dieses feinen Geldes klar. Verschenkt haben die Amis ihr schönes Geld ja an keinen, sondern Kredit gegeben, der – in Konkurrenz zu US-Waren-Preisen – erst einmal mit Zinsen verdient sein wollte. Also erfanden amerikanische Ökonomen den Internationalen Währungsfonds. Dieses trickreiche Unternehmen sorgt für eine dauerhafte Emanzipation des Kredits von der je vorhandenen nationalen Zahlungsfähigkeit, indem es die Schulden der „armen“ Staaten bei den „Reichen“ internationalisiert. Kein Staat sollte genötigt sein, „bloß“ wegen schlechter Bilanzen und fehlender Devisen den Geschäftsverkehr über die Grenzen hinweg zu beschränken, der eben dieses Ergebnis produziert. Schließlich ist ja der Schaden, den das Kapital bei den Bilanzen der einen anrichtet, sicheres Indiz dafür, daß es anderswo den Nutzen stiftet, auf den es ankommt. Ebenso sollte kein Bankkapital in seiner Kreditvergabe dadurch beeinträchtigt werden, daß der Rückgriff auf nationale Devisenreserven zweifelhaft wird. Für beide Fälle trifft der IWF Vorsorge, indem er den Zugang solcher Staaten zu neuem Kredit – also neuen Schulden – im Prinzip verbürgt und damit den jeweils kreditgebenden Banken die schöne Sicherheit verleiht, daß hinter ihrem Geschäft das Interesse einer ganzen Welt-Wirtschaft steht. Für diesen IWF-Kredit stehen die Staaten, deren Kreditgeld sich international Verwendungsfähigkeit erstreitet, kollektiv gerade: „teilen“ sich also die Kosten für die weitere kapitalistische Benutzung der Staaten, deren Bilanzen nur noch aus wachsender Verschuldung bestehen. Dieses Projekt ist so gut gelungen, daß die G7 heutzutage statt allfälliger Zahlungsbilanzkrisen eine dauerhafte „Schuldenkrise“ zu betreuen haben, andere Staaten ihre nationalen Ressourcen auf 1000 Jahre verpfändet haben und kein Landstrich aus der Benutzung durchs Kapital herausfällt, dem nicht qua IWF höchstoffiziell seine Weltmarktuntauglichkeit bescheinigt worden ist.
 

GATT

Daß Nationen, deren Zahlungsfähigkeit vom Verfügen über das Geld fremder Staaten abhängig gemacht ist, die Befreiung aus dieser Abhängigkeit anstreben, war den Schöpfern der US-Weltwirtschaft gewiß. Diesbezügliche Anstrengungen waren den Nationen ja auch nicht verboten, sondern explizit nahegelegt; auf das „wie“ sollte es ankommen. Im „General Agreement on Tarifs and Trade“ ist den Konstrukteuren eines grenzenlosen Kapitalismus eine Institution gelungen, die dafür sorgt, daß die jeweils nationale Zuständigkeit für das Florieren des Kapitals sich nicht als „wettbewerbswidrige“ Behinderung, sondern ausschließlich als Beförderung des freien Hin- und Her des Kapitals über alle Grenzen betätigt. Die Nationen sollen sich ausschließlich als Agenten eines Standortvergleichs aufführen, den das Kapital vornimmt und dem sie zwar Bedingungen bereitstellen, aber dessen Bewegung sie nicht zuungunsten anderer Nationen beeinflussen dürfen sollen.
Als allgemeines Prinzip des „freien Welthandels“ formuliert, erscheint diese GATT-Leitlinie ziemlich verrückt. Schließlich sind die Staaten ja nichts anderes als ein riesiges „Handelshemmnis“: Sie sind es ja, die das Kapitalwachstum betreuen und voranbringen, und ihr Interesse an dessen nationalem Ertrag diktiert die dafür nötigen Maßnahmen. Für Kapitalisten mögen sich je nach Branche oder Standort von der Staatenwelt verfügte Zölle, Subventionen etc. ebenso als günstige Geschäftsbedingung wie als störende Benachteiligung geltend machen; Staaten sehen die Sache prinzipieller. Ihnen gilt die Wirtschaftspolitik anderer Staaten immer schon als „Hemmnis“, insofern dort ein fremder Souverän dasselbe tut, was sie zuhause machen: nämlich es sich herausnimmt, den eigenen Erfolg durch unzulässige Einmischung in die ansonsten unverfälschte Konkurrenz sicherstellen zu wollen. Insofern ist die Rede von „nicht-tarifären Handelshemmnissen“, „politisch verfälschten Preisen“, von „Protektionismus“ und „Abschottung“ usw. nichts anderes als das geltend gemachte Interesse einer Nation daran, daß die wirtschaftspolitischen Maßnahmen anderer Nationen ihren Bilanzen nicht schaden dürfen; als allgemeines Prinzip des Verkehrs aller Staaten untereinander machen derlei Schuldzuweisungen keinen Sinn.
Die USA haben diesen Einwänden gegen fremde hoheitliche Konkurrenzkorrekturen dennoch zu einem allgemeinen weltwirtschaftlichen „Sinn“ verholfen. Den Standpunkt, daß, wo ihre ökonomische Macht im Recht ist, versuchte Gegenwehr der Konkurrenz nur eine Verletzung des Prinzips der freien Konkurrenz sein kann, haben sie nicht nur geltend gemacht, sondern die anderen Staaten im GATT darauf verpflichtet, die Sache auch so zu sehen. Mit dem Prinzip der „Meistbegünstigung“: Zollerleichterungen, die sich Staaten einräumen, sind auch allen anderen Staaten anzubieten – und mit Zollsenkungsrunden wurde so durchgesetzt, daß Zölle weltweit gesenkt und vereinheitlicht wurden. Auf der Grundlage hat sich der Umfang des Welthandels ständig erweitert. Vor allem aber ist mit dem GATT das Prinzip eingerichtet, daß die jeweiligen staatlichen Methoden, das heimische Geschäftsleben vor unliebsamer Konkurrenz zu schützen oder zu mehr Konkurrenz mit auswärtiger Kapitalanlage zu befähigen, zum Gegenstand eines Dauerstreits unter den Nationen erhoben sind und ihre Rechtfertigung damit in dem Maße erfahren, wie es den jeweiligen Beteiligten gelingt, sie als allgemeine Prinzipien des Welthandels zu etablieren. Was den Nationen, die aus dem Welthandel ihren Nutzen ziehen, nur recht sein kann.

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Alles in allem betätigte sich der Imperialismus der USA als ein erfolgreicher Supranationalismus:
Er hat die Staaten dazu angehalten, Konkurrenz und Verhandlungen über die Methoden der Konkurrenz zu kombinieren. Die zur Regelung der Weltwirtschaftsordnung von den USA eingerichteten Instanzen lebten positiv vor – mit dem Willen der aus innerer Einsicht zum Mitmachen gezwungenen Konkurrenten –, daß sich die Verpflichtung auf supranationale Regelung der erlaubten und verbotenen nationalen Betreuungsmaßnahmen für’s Kapital sehr wohl lohnt. Nämlich für die Staaten, die sich zu bevorzugten Landebahnen, Umschlagplätzen und Startpisten des großen Kapitals mausern, das sie damit alle gemeinsam zum inter-nationalen heranzüchten. Das sind nicht viele; und die „Habenichtse“ werden, je mehr der weltwirtschaftliche Reichtum wächst, eher mehr als weniger. Aber das ist auch nur logisch und widerspricht keineswegs dem Willen der Erfinder. Der amerikanische Supranationalismus hat durchgesetzt, daß Konkurrenzbemühungen sich darauf zusammenkürzen, einerseits ein solcher Standort sein zu wollen, andererseits sich möglichst viel Mitspracherecht in den Institutionen der Weltwirtschaft zu sichern.

Einen „Rückfall“ in gewaltsame Methoden, mit denen sich kapitalistische Nationen früher der Untergrabung ihrer Souveränität zu erwehren oder mehr Mittel ihrer ökonomischen Macht zu sichern trachteten, brauchten die USA dabei nicht zu befürchten. Sie haben nämlich das Angebot an die kapitalistische Konkurrenz zur Teilhabe am Weltmarkt gleich um das Angebot zur gemeinsamen militärischen Aufsicht über diese sinnreiche Einrichtung ergänzt und ihr erlaubt, sich in Gestalt der Nato wieder aufzurüsten, natürlich ebenfalls unter der Oberaufsicht der Weltmacht Nr. 1. Für diese gemeinsame Aufsicht hatten alle Beteiligten in der Existenz einer Sowjetunion, die ihr Territorium und Osteuropa der kapitalistischen Benutzung entzog und ein konkurrierendes Weltmachtprogramm auflegte, ein starkes Argument, das 40 Jahre lang trotz mancher Handelskriege und Kreditkrisen nichts an Überzeugungskraft verloren hat. Und gegenwärtig entdecken die in der Nato versammelten ökonomischen Mächte gerade, daß auch ein ungeteilter Weltmarkt für einiges an Kriegen gut ist, die sie gemeinsam nicht zulassen können.

Das europäische Gegenprogramm

Von diesem Supranationalismus haben die EG-Staaten profitiert, sie haben ihn auch imitiert. Bescheiden wollten sie sich mit diesem imperialistischen Fortschritt jedoch nicht, weil sie ihrnationales Interesse darin nicht aufgehoben sahen. Die Weltordnung der USA verpflichtete sie darauf, immerzu auf Grundlage des Dollar gegen ihn zu konkurrieren, also die Macht der USA beim Konkurrieren immerzu in Rechnung zu stellen. Sie antizipierten, daß sie auf die Weise immer nur Mitmacher zum Nutzen und Frommen der Ordnungsmacht sein würden. Jeder Gründungsstaat war sich als Hilfstruppe der USA zu schade und deshalb der Unterlegenheit in allen Belangen bewußt. Wirtschaftspolitisch auf sich selbst gestellt, sah jede dieser Nationen keine Chance, sich an dem Maßstab zu bewähren, mit dem jede sich vergleichen wollte: der kapitalistischen Führungsnation USA. Sich bloß des nützlichen Gebildes Weltmarkt zu bedienen, reichte keinem dieser Emporkömmlinge: Es ging darum, sich zu einer Konkurrenz mit den USA hochzuarbeiten, an der diese würde Maß nehmen müssen.
Das war ein hochgestecktes Ziel, an dem sich die je nationalen Mittel nur blamieren konnten. Das fing schon damit an, daß dem neu geschaffenen – DM – oder in Wert gesetzten – franc, Pfund – Geld dieser Nationen der Dollar als gold=gleich vor die Nase gesetzt war. Andererseits war der doch – letztlich! – auch nichts anderes als ein nationales Kreditgeld, eben das amerikanische. Das war zu beweisen. Wobei die Euro-Staaten das Beweismittel schon mitgeliefert bekommen hatten; denn zwischen diesem ganz und gar unvergleichlichen Dollar und ihren Geldern waren ja Wechselkurse, also ein Vergleichsmaßstab eingerichtet. Und damit war eben doch der Vergleich zwischen diesen angeblich so inkommensurablen Geldern eröffnet. Also hieß das Programm für die Euro-Staaten, daß ihre Währungen den Dollar zu einer Währung unter anderen herabzusetzen hatten, wenn damit aus ihrem nationalen Kredit wieder Reichtumsquelle und Machtmittel für sie und nicht bloß für die USA werden sollte. Und da es nicht mehrere Gelder geben kann, die so gut wie Gold sind, ist dieses Programm nicht eher fertig, bis aus europäischem Geld das geworden ist, was der Dollar 1945 war...

Den Vergleich zwischen Dollar, DM, franc etc. vollzog zunächst die Geschäftswelt, und zwar ganz praktisch. Die hatte damit wenig Probleme; für sie war mit der allgemeinen Konvertibilität der Weltmarkt hergestellt, die Freiheit zur Benutzung jedes sich anbietenden Standorts gegeben.
Für die auf Rückgewinnung ökonomischer Souveränität bedachten Staaten sah die Sache etwas anders aus. Für sie sollte das auf ihrem Territorium aufblühende Geschäftsleben die Mittel für ihre Freiheit in Gelddingen bereitstellen. Umso störender machte sich geltend, daß sie bei der dafür nötigen Betreuung des Geschäfts immerzu darauf schauen mußten, was die Abhängigkeit von fremdem Kredit mit dem eigenen anzufangen erlaubte. Das fing mit der Bereitstellung von Devisen für Importgeschäfte an und hörte damit längst nicht auf. Was immer an Standortbedingungen für nötig befunden wurde, von Autobahnen bis hin zum Ausbildungssystem: Immerzu war die nationale Verschuldungsfähigkeit durch die Abhängigkeit vom Dollar beschränkt. Ein Zustand, den kein kapitalistischer Staat duldet, wenn er nicht muß. Wo es seine Pflicht ist, den Kapitalismus zu betreuen, hat er auch ein Recht darauf, dies zu können, und darf sich zum Wohle der Nation nicht dauerhaft davon abhängig machen, was der Kredit der USA ihm an Freiheiten zuspielt.

Also hieß die Devise: Dollars verdienen, um den Dollar zu ersetzen. Dafür mußte man

Exportnation

werden. Zunächst deswegen, um überhaupt dem Geschäftsleben auf dem eigenen Territorium eine sichere Heimat zu bieten. Dem Kapitalwachstum auf dem eigenen Gebiet sollte die dauernde freie Verfügung über auswärtiges Geld eröffnet werden; also mußte man es dabei unterstützen, eines zu verdienen. Auf diese Weise war ein wachsendes Geschäftsleben auf dem eigenen Territorium zu etablieren, das ebenso Anziehungspunkt für Neuanlage wie Ausgangspunkt für neues Geschäft ist. So wird das Dollar-Verdienen zum ohnehin anfallenden Nebenergebnis einer Geschäftstätigkeit, die in wachsendem Maße in DM, franc etc. läuft und damit diese Gelder in den Rang gefragter Währungen erhebt. Womit dann drittens endlich dem Staat die Freiheit zukommt, eigenen Kredit in dem Maße in die Welt zu setzen, wie er ihn braucht und für nötig hält.
Das Projekt war klar. Und es verwies die europäischen Nationen unerbittlich darauf, daß das, was jede von ihnen im nationalen Interesse wollte, keine von ihnen gegen die Übermacht des Dollar alleine schaffen konnte. Ihr Nationalismus, der ihnen die Unterwerfung ihrer Souveränität unter den Dollar als unerträglich erscheinen ließ, war zugleich der Stachel dafür, auf Wege zu sinnen, wie sie sich gemeinsam gegen diese Fessel erfolgreich durchsetzen könnten. Angesichts der Konkurrenzbedingung, die jedem dieser Staaten im Dollar aufgemacht war, betrachteten sie von sich aus ihre Grenzen als Hindernis für ihren wirtschaftlichen Aufstieg und ihre eigene Souveränität als schlechte Bedingung für ihr Bestehen in der Weltmarktkonkurrenz. Jede Nation für sich, so befanden sie, war als Standort für Kapital, als Ausgangspunkt für neu zu akkumulierenden Reichtum zu klein, um je den USA Paroli bieten zu zu können. Also beschlossen sie ein Projekt, das einer Eroberung gleichkommt, aber keine war: die Herstellung eines einheitlichen Wirtschaftsraumes, der allen Nationen gleichermaßen als Grundlage für die Konkurrenz gegen die USA zu Diensten sein sollte.
Die USA leisteten also in doppelter Weise Geburtshilfe für die EG. Zum einen fühlten sich die EG-Staaten, jeder für sich, herausgefordert, sich in der neuen Weltwirtschaftsordnung als kapitalistische Führungsnation zu bewähren. Das stachelte zum zweiten bei allen den festen Willen an, das von den USA vorweg entschiedene Konkurrenzverhältnis umzudrehen; auch und sogar um den Preis, daß die Nation, die da obsiegt, immer weniger „Deutschland“, „Frankreich“ oder „Italien“ und immer mehr „Europa“ heißen würde. Weder haben die europäischen Nationen angesichts amerikanischer Übermacht die Konkurrenz gleich verlorengegeben und sich ins zweite Glied verweisen lassen mögen, noch haben sie lange ausprobiert, wie sie, jede für sich, unter den neuen Bedingungen zurechtkommen. Sie haben sich sofort und ohne Umschweife für den Vergleich mit der Weltmacht Nr. 1 entschlossen; und ihren eigenen Erfolg messen sie nur noch daran, wie sie in dem bestehen.
Das Ziel der EG war von Anfang an: sich in der Weltordnung der USA zu bewähren, um diese Ordnung selbst zu machen. Dieses fundamentalistische Vorhaben braucht folgende Etappen:
– Mehr Markt als die USA kommandieren.
– Das Weltgeld Dollar ersetzen.
– Die politische Führung der USA brechen.

 

Hebel des europäischen Antiamerikanismus

In ihrem Wirtschaftsbündnis – und das ist Europa zunächst einmal – wollen sich die beteiligten Nationen erstens aneinander bereichern und zweitens auf Kosten Dritter. Ihre Konkurrenz untereinander haben sie organisiert in der Absicht, ihren Standort und dessen Leistung zu erweitern.
Gegenstand des Vertrages, den die Gemeinschaft jahrzehntelang fortgeschrieben hat, ist die Beseitigung der Schranken, welche die gewöhnlichen nationalen Vorteilsrechnungen dem grenzüberschreitenden Geschäft entgegensetzen. Die Staaten der EG haben sich wechselseitig als Handelshemmnis definiert – und als Zugeständnis an die Partner sich auch als solches relativiert. Jede Etappe ihres Gemeinschaftswerkes wurde von den Vaterländern daraufhin besichtigt, ob der nationale Ertrag die gemachten Zugeständnisse rechtfertigt. Der daraus resultierende Streit war insofern „natürlich“, als die jeweilige Bilanz manche Differenz zutage förderte. Die getroffenen Maßnahmen haben den praktischen Vergleich zwischen Geschäftszweigen eröffnet, die zuvor unter dem speziellen Schutz der Nationen als Beitrag zur Leistung des Standorts fungierten, nun aber dem Verdikt „unrentabel“ anheimfielen. Die Freiheit im Umgang mit dem Nationalkredit – an Subventionen, Inflationsraten etc. diskutiert – wurde beschränkt, um besagten Vergleich wirksam zu machen. Und schon stellte sich heraus, daß die Mitglieder höchst unterschiedlich betroffen waren vom Gemeinsamen Markt.

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Die abhängigen Staaten von 1957 setzten dem amerikanischen Angebot zur freien Betätigung auf dem sich entwickelnden Weltmarkt ein sehr nationales Denken entgegen. Ihnen war klar, daß sie nur weiterkommen würden, wenn es ihnen gelänge, aus dem hereinströmenden US-Kapital genuin europäisches zu machen, also den Nutzen aus dem hergestellten Internationalismus des Kapitals zu nationalisieren. Es ging nicht nur darum, weltmarkttaugliches Kapital zu attrahieren; entscheidend war, es dazu zu bringen, sich in Europa zu etablieren. Dafür brauchte dieses Kapital einen „eigenen“ Markt: d.h. einen, der groß genug war, um in Konkurrenz zum US-amerikanischen Markt treten zu können, und der damit den für ihn produzierenden Kapitalen als Ausgangsbasis dienen könnte, um in Konkurrenz mit dem US-Kapital für die ganze Welt zu produzieren.
Also beschlossen die EWG-Gründungsstaaten, die Grenzen untereinander als Wachstumsschranke für’s Kapital zu beseitigen: Die bisherige Einhegung nationaler Produktionen sollte durch eine freie Bewegung von Waren und Kapital quer durch Europa abgelöst werden. Ihr jeweiliges nationales Interesse am Kapitalwachstum betätigten sie so, daß sie wechselseitig den Zugriff auf den Markt des anderen vereinbarten; damit aber auch sich selbst als nationales Subjekt des jeweiligen Nutzens aus Kapitalerträgen – in Form von Steuern, Verschuldungsfähigkeit usw. – relativierten. Das Angebot einer prinzipiell europaweiten Nachfrage sollte dem Kapital die Chance eröffnen, es aber auch dazu zwingen, sich zu einer Kapitalgröße zu konzentrieren, mit der die Einrichtung produktivster Produktionsmethoden lohnend würde. Das war der Beschluß zu einer gehörigen Portion Rücksichtslosigkeit gegenüber der heimischen Produktion, die sich an der Produktivität der Dollar-Kapitale zu messen hatte. So verpflichteten sich die EWG-Staaten auf ihren Supranationalismus.
 

Zollunion

Sie war nach innen geradezu vorbildlich; trotz vieler Streitereien wurden die Zölle in einem Umfang und mit einer Geschwindigkeit gesenkt wie sonst in keiner Wirtschaftsgemeinschaft. Aus dem gemeinschaftlich beschlossenen Angebot eines größeren Marktes erwuchs für die Kapitale die Notwendigkeit, sich auf wachsende Los-Größen einzustellen und dafür auch mehr Kredit aufzunehmen. Für die Bereitstellung dieses Kredits sorgten ein Bankenwesen, das sich tiefer staatlicher Solidarität sicher sein konnte, oder gleich die Staaten selbst. Zur Teilnahme an dem neuen Markt waren selbstverständlich auch die US-Kapitale eingeladen – sollten sie doch ihr gutes Geld dauerhaft in Europa anlegen.

Der Zweck dieses Fortschritts: Es geht um mehr Freiheit, schlicht im Sinne eines ausgedehnteren Betätigungsfeldes fürs kapitalistische Konkurrieren. Die Regierungen der Gemeinschaftsländer machen sich an den „Dienst“, der die Geschäftswelt am meisten befördert: Sie wollen dieser letztlich kein anderes Gesetz auferlegen als die Notwendigkeit, sich pur nach den immanenten kapitalistischen Bedingungen des geschäftlichen Erfolgs gegen ihresgleichen zu behaupten und durchzusetzen. Die Probleme, die sie ihren Geschäftsleuten damit einbrocken, sind den Regierungen ebenso bekannt, wie die Chancen, die sie ihnen damit eröffnen. Denn Chancen und Probleme sind ein und dasselbe, jeweils vom Standpunkt des Erfolgs bzw. des Mißerfolgs aus: Schärfere Auslese der weniger Konkurrenztüchtigen sowie – als Mittel der verschärften, weil verallgemeinerten Konkurrenz – eine ganz neue Stufe der Zentralisation des Kapitals steht an; der Ruin ganzer nationaler Geschäftszweige ist ebensowenig auszuschließen wie der Aufbau völlig neuer Branchen.

Zugleich beschloß die EWG, ihre nach innen geschaffene Freihandelszone auch nach außen hin, im Verhältnis zum Rest der Staatenwelt, als gemeinsamen Wirtschaftsraum zu etablieren. Die zentrale Vorrichtung des GATT, die „Meistbegünstigungsklausel“, unterliefen die EWG-Staaten, indem sie kurzerhand beschlossen, daß diese Klausel nicht auf ihre Regelungen untereinander, sondern nur auf ihr gemeinsames Verhältnis zur „Außenwelt“ anzuwenden sei. Ab den Grenzen des Wirtschaftsraums galt die „Gemeinschaftspräferenz“. Damit war ein neues Verhältnis zwischen Innen- und Außenzöllen definiert, das als quasi „Zollmauer“, als geradezu potenzierte Zollschranke wirkte, bilaterale Verhandlungen mit einzelnen europäischen Staaten ausschloß und damit die Zollsenkungen im Innern als Vorzugsbedingungen für in der EG produzierende Kapitale zementierte. (Die USA nahmen die „Ausnahme“ hin, da sie – ganz souveräner overlooker – „Wachstumsmärkte“ als natürliches Betätigungsfeld des Dollars begrüßten. Heute gibt es in Washington eine innenpolitische Diskussion, ob da nicht ein großer Fehler unterlaufen wäre, der jetzt endgültig zu korrigieren wäre...)
Damit stellten die EWG-Staaten klar, daß sie eben doch nicht bloß eine Freihandelszone sein wollten. Sie schufen einen Wirtschaftsblock, der ab sofort in allen GATT-Verhandlungen auch als solcher auftrat und seine Interessen in Zollfragen mit ganz anderer Wucht geltend machte, als es die einzelnen europäischen Staaten gekonnt hätten. Schließlich hatten die EWG-Staaten ja auch etwas anzubieten: Die gemeinsame „Zollmauer“ war ja nicht dazu gedacht, Importe aus der EG fernzuhalten, sondern schuf die Voraussetzung für Verhandlungen mit Drittstaaten über die Konditionen des Imports von Waren, der in dem Maße wuchs, wie das EG-Kapital an Masse gewann, und machte zugleich den EG-Raum zur bevorzugten Anlaufstelle für den Import vonKapital, das den „Schutz“ dieser neuen Mauer nutzen wollte. Nach innen zwangen sich die EWG-Staaten damit zur gemeinsamen Beurteilung und Beschlußfassung in Zoll- und Importkontingentfragen unter dem Kriterium, wie nationale Sonderinteressen an der Bewahrung eigener Industriezweige vor allzu unmittelbar ruinöser Konkurrenz zu vermitteln sei mit dem gemeinsamen Interesse an der Herstellung einer weltmarkttauglichen Kapitalproduktivität, die die Bewahrung hergebrachter Strukturen nicht verträgt. Damit bewiesen die EWG-Staaten gleich beim ersten Akt ihrer Gründung den festen Willen, ihre eigenen Interessensgegensätze als Schranken ihres Gemeinschaftsprojekts nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern gleich in ein System positiver, nach vorn gerichteter Bewältigungsverfahren zu überführen.

Der Legende vom überwundenen Imperialismus, vom neuen kulturvollen Zusammenwohnen der in der „Europa-Idee“ verschweißten Völker, hat diese aggressive (Handels-)Politik keinen Abbruch getan, eher umgekehrt. Untereinander hatten die europäischen Staaten ja tatsächlich wesentliche Bestandteile des klassischen Imperialismus außer Kraft gesetzt – und wenn man „übersieht“, daß es sich hier um einsichtiges Verhalten aufstrebender Imperialisten handelt, die aus dem amerikanischen Anti-Wirtschaftsnationalismus ihre ganz spezielle Lehre gezogen hatten, dann lassen sich Zollbefreiung nach innen und „Gemeinschaftspräferenz“ auch immer als rein defensive Maßnahmen begrüßen, die einem der übermächtige Partner aufnötigt. Dann läßt sich der Zusammenhang von Dienst und Instrument auch sehr idyllisch sehen: Die europäischen Staaten machen sich zum Instrument des Kapitals, damit dieses seinen Dienst am „Weltwirtschaftswachstum“ alias „Optimale Reallokation der Ressourcen“ alias „Wohlstand der Völker“ verrichten kann; dann sind diese Nationen überhaupt bloß noch Wohltäter, die – vorübergehend, versteht sich – Schutzmaßnahmen nur ergreifen, um nationalstaatliche Kleinkariertheit endgültig auszumerzen, und die jetzt schon einmal, sozusagen auf Vorschuß, das friedliche Zusammenwirken von Staaten vorleben. Gegenüber den USA verfolgen diese Staaten gar keine eigenen Zwecke, sondern sind allerhöchstens die Ordnungsmacht beschämende Musterschüler. So kommt es, daß europäischen Politikern tatsächlich die Behauptung als beruhigend abgekauft wird, sie hätten aus „zwei schrecklichen Weltkriegen“ gelernt, daß „nationale Alleingänge“ nichts brächten, statt daß man die imperialistische Not, also auch den gemeinsamen Aufbruchswillen heraushört, der solchen Sonntagsreden mindestens genauso zu entnehmen ist.


Die Gemeinschaftsprojekte „Montanunion“ und „Euratom“

ergänzen die über alle Grenzen hinweg freigesetzte Konkurrenz des Kapitals mit der dazu passenden Industriepolitik. In den betreffenden Verträgen verfügen die EWG-Nationen gemeinsam über ihren Markt als Gegenstand ihrer Hoheit und sorgen politisch für das Vorhandensein unverzichtbarer Grundlagen eines Standorts von Weltmarkt-Kapital. Sie erklären ihren Willen, sich gemeinsam um Abteilungen der nationalen Produktion zu kümmern, die als herkömmliche und zukünftige „Grundstoffindustrien“ anerkanntermaßen zu den Sorgegegenständen imperialistischerNationen gehören. Kohle, Stahl, Atom sind Produktionssphären, die jede dieser Nationen als unverzichtbare Grundlage ihrer nationalen Wirtschaft betrachtet; als Sphären, wo sie nicht nur, aber auch wegen Rüstung, von keiner anderen Nation abhängig sein will, vielmehr andere von sich abhängig zu machen trachtet.
Klar war, das die in der EWG freigesetzte Konkurrenz den jeweils nationalen Abteilungen der Kohle- und Stahlindustrie Schäden zufügen würde. Die sollten auch nicht prinzipiell verhindert werden; schließlich ging es auch in den Sphären um Weltmarkttauglichkeit. Eben deshalb ließen die EWG-Gründer hier nicht einfach die freie Konkurrenz walten. Indem sie sich zur gemeinsamen Beaufsichtigungs- und Genehmigungsinstanz für Subventionen, Quoten etc. machten, hinderten sie sich wechselseitig daran, eingetretene Konkurrenznachteile zum Grund für eine Beeinträchtigung oder gar ein Rückgängigmachen des mit der Zollunion eingerichteten Prinzips zu machen. Den beteiligten Nationen muß eingefallen sein, daß sich keine von ihnen zum Verzicht auf diese Abteilung der nationalen Produktion einfach wg. hergestellter Konkurrenzunfähigkeit würde zwingen lassen, ohne Gegenmaßnahmen zu ergreifen, die dem ganzen Projekt Schaden zufügen könnten. Also organisierten sie nicht defensiv die Verhinderung solcher Schäden, sondern gingen gleich offensiv daran, aus den konfligierenden nationalen Interessen in dieser Abteilung ein Gemeinschaftsprojekt in Sachen EWG-Energie- und Grundstoffindustrie zu verfertigen. In Sachen Atomwirtschaft regelten sie den Neuaufbau entsprechender Kapazitäten gleich als supranationalen Verabredungsgegenstand. Bei Kohle und Stahl erfanden sie ein System von Regelungen, das jeder Nation das Recht auf Betreuung und Beförderung „ihrer“ entsprechenden Branchen zugesteht, sofern sie ihre Maßnahmen jeweils neu mit dem allgemeinen Interesse an einer im Weltmarktniveau rentablen Produktion zur Deckung bringt. Subventionen müssen sich im Streit um das erlaubte, d.h. im EG-Vergleich noch rentable Maß an Sicherung eines nationalen Standorts bewähren, das Recht auf Quoten begründet sich aus erwiesenem Erfolg bei der Herstellung rentabler Kapazitäten. In dem Maße, wie in dem einen Staat erfolgreiche Rationalisierungen und Sanierungen durchgeführt wurden, die diese Geschäftszweige aus der staatlichen Obhut in kapitalistische Profitmacherei entließen, stieg indirekt die Belastung für die Haushalte der anderen Staaten. So übten die Vertragspartner wechselseitig Druck aufeinander aus, auch diese Nationalindustrien an das Weltmarktniveau heranzuführen, auch um den Preis der partiellen Preisgabe.

Der europäische Agrarmarkt

betreibt die kapitalistische Aufrüstung des Nährstandes als Gemeinschaftsaufgabe. Frankreich bestand von Anfang an auf einer gemeinsamen Finanzierung. Die hat sich mittlerweile auch ausgezahlt insofern, als die EG den Weltagrarmarkt mit ihren Überschüssen traktieren kann. Deswegen fragt auch im Ernst niemand danach, ob die europäische Gesamtsubvention im Verkauf zurückfließt, auch wenn die Klage vom „Faß ohne Boden“ ein beliebtes Thema für Wirtschaftsjournalisten ist. Schließlich ist die Agrarproduktion mittlerweile ein blühendes Geschäft und leistet als solches ihren Beitrag zu dem Erfolg, auf den es ankommt.
 

Der Exporterfolg

der E(W)G stellte sich wie gewünscht ein: Dollars wurden akkumuliert. In dem Maße, wie sich in der EG eine erfolgreiche Kapitalakkumulation etablierte, wurde aus den europäischen Währungen, die als Durchgangsgelder für Dollar-Vermehrung anfingen, ein begehrtes Geld; eines, das Kapitalisten nicht nur verdienen, sondern auch behalten und wieder anlegen wollten. Zum Einkaufen im EG-Raum benutzte die Geschäftswelt ohnehin keine Dollar, sondern bediente sich der EG-Gelder. Und das Ergebnis ihrer erfolgreichen Exporttätigkeit, die auswärts verdienten Dollar, verwandelte sie in zunehmendem Maße zurück in Euro-Währung, um sie dort wieder anzulegen.
Auf diese Weise verlagerte sich die Nachfrage der Geschäftswelt weg vom Dollar hin zu den Euro-Geldern. Hinzu kam, daß seit 1960 dem Anschwellen der Dollarreserven in den europäischen Nationalbanken ein US-Zahlungsbilanzdefizit gegenüberstand, das durch den Vietnam-Krieg noch kräftig aufgestockt wurde. Damit war praktisch schon der Ausgangspunkt infragegestellt, von dem her die USA den Dollar als Wert, also gold=gleich, mit den anderen Währungen verknüpft hatten. Die Herabsetzung des Dollar zu einer Währung unter anderen, die sich als Zweck allen Produzierens in Konkurrenz zu anderen Währungen bewähren muß, war eingeleitet. Politisch war dies aber noch nachzuvollziehen: also der Beschluß, nach dem der Dollar als „Garantie-Geld“ in einem festgelegten Kursverhältnis zum Rest der Währungswelt zu stehen habe, aufzuheben.

Das lief folgendermaßen ab:
Geltend machte sich die rückläufige Nachfrage nach dem Dollar zunächst einmal bei den europäischen Notenbanken. Bei denen häuften sich die Dollarreserven. Das war auch gut und schön: Damit war ja bewiesen, daß die DM sich an dem Zweck bewährt hatte, wachsende Erträge in wirklichem Geld einzuspielen. Damit war aber auch schon gezeigt, daß sich die DM vom Dollar als ihrer Grundlage emanzipiert hatte. Das Ansammeln von Dollars bei den Notenbanken zeigte, daß in zunehmendem Maße nicht mehr die DM Durchlaufmittel für ein Dollargeschäft, sondern umgekehrt der Dollar zum Mittel für das Verdienen von DM geworden war. Damit änderte sich auch der Charakter der Dollarreserven bei den Notenbanken. Sie waren nicht mehr amerikanischer Kredit, mit dem die Nation ihre Zahlungsfähigkeit bewies, mit deren Vorhandensein sie also belegen mußte, daß ihr Geld brauchbares Geschäftsmittel sei, sondern waren zur Reserve im technischen Sinne herabgesetzt. Und für den Zweck – immer soviel Dollar bereitzuhalten, wie die Geschäftswelt gerade benötigte – waren sie eben zuviel. Damit bekamen die Dollars für die betreffende Notenbank den Charakter von brachliegendem Geld; oder, was dasselbe ist, von Schuldtiteln der USA, über die das Verdikt gesprochen war, daß sie als Geschäftsmittel gar nicht taugen.
So wurde aus einer Dollar-Deckung eine „Dollarschwemme“. Damit war die Beschwerde der europäischen Nationen angemeldet, daß das ihnen zugeflossene Geld den Bedürfnissen der Geschäftswelt nicht entsprach, der Nation aber das Recht verwehrt war, Maßnahmen zu ergreifen, um dessen Verwendbarkeit zu sichern. Die europäischen Nationen hatten sich als Subjekt eines vermehrungsfähigen Geldes erwiesen; die Verwendbarkeit ihrer Überschüsse mußten sie aber weiterhin einer anderen Hoheit überlassen. Die legte nämlich nach wie vor fest, was die Dollars „wert“ waren, also wieviele DM, franc etc. man dafür hinzulegen hatte. Und zugleich war klar, daß die Dollar diese DM eben nicht wert waren, weil sie zu dem Preis keiner haben wollte.

Die europäischen Nationalbanken entnahmen dieser Lage zunächst einmal eine neue Freiheit zur Verwendung des eigenen Nationalkredits. Wo keiner mehr danach fragt, ob „hinter“ den europäischen Geldern Dollar standen, richtete sich die Ausgabe z.B. neuen DM-Kredits rein danach, wieviel die Geschäftswelt davon benötigte; und nach dem herrscht ja Nachfrage. Umso störender erschien ihnen, daß die Verwendung verdienter Dollars sich nicht nach ihren Einkaufs- und Verwendungsbedürfnissen richten durfte, daß ein freier Umgang mit dem Dollar, ein freier Übergang von DM zu Dollar und umgekehrt ihnen verwehrt war.
Damit lag die Frage nach dem Preis des Dollar auf dem Tisch. War der fixe Wechselkurs Ausdruck des Umstands gewesen, daß der Dollar alle Gelder an sich gemessen hatte, so war jetzt die Forderung nach Freigabe der Wechselkurse das Verlangen, am Dollar das Urteil offiziell nachzuvollziehen, das die Geschäftswelt schon über ihn gefällt hatte: daß nämlich auch er nicht per se Geld sei, sondern daß er sich in der Konkurrenz, also über seinen Preis, als Geld zu bewähren habe. Die Beschwerde, daß der Dollar „zu teuer“ sei, war die Beschwerde darüber, daß das US-Geld sich dieser Konkurrenz entzog: daß also die Bedingungen der Benutzung des Dollar einseitig von den USA festgelegt waren. Für die europäischen Notenbanken stellte sich die Sachlage so dar, daß sie sehr wohl Verwendung für das US-Kreditgeld gehabt hätten, wenn es ihnen nur erlaubt wäre, es billiger herzugeben. Dollarkredite mußte das Kapital erst einmal wollen; billiger, da war man sich sicher, wären sie gefragt; die dafür nötigen Sonderangebote durften die Notenbanken nicht machen. Im Gegenteil: Sie waren gezwungen, die US-Währung aufzukaufen, also selbst die Nachfrage herzustellen, die den offiziell gültigen Kurs gegen den „Druck“, d.h. das Verkaufsinteresse der Dollarbesitzer sicherte.

So kam die Rede vom „politisch motivierten Dollarkurs“ auf. Im fixierten Verhältnis Dollar/DM/franc etc. entdeckten Geschäftsleute wie Staaten eine Schranke: die einen für ein Geschäft in Dollars, für die immerzu zuviel nationale Währung hinzulegen war; die anderen für ihren eigenen Kredit, den sie immerzu zu billig hergeben mußten, d.h. den sie nicht nach Maßgabe ihrer eigenen Bedürfnisse ausweiten konnten, weil er für den Dollar mit geradestehen mußte. Ein Befund, der besagt, daß im Verhältnis zu dem darin verkörperten Wert zuviele Dollars auf der Welt waren. Eine Ent-Wertung des insgesamt von den Staaten in Umlauf gesetzten Kredits hatte stattgefunden, durfte sich aber nicht gegen das Geld geltend machen, gegen das diese Entwertung nach allgemeiner Auffassung zuallererst sprach.

Auf der Grundlage wurden die EG-Staaten offensiv. De Gaulle präsentierte den USA die Rechnung, nach der der Dollar doch Gold sei, und verlangte Zahlung. Die Bundesbank weigerte sich, weiterhin Dollars aufzukaufen. So legten beide auf ihre Weise die Inflationierung des Dollar offen, die die USA betrieben hatten. Die europäische Konkurrenz warf dem Dollar vor, daß er gar nicht das sei, was er zu sein vorgab, nämlich so gut wie Gold, sondern auch bloß national im Umlauf gesetzter Kredit, der sich im Vergleich mit den anderen Währungen bewähren, also zugeben müsse, daß die USA Schulden in die Welt gesetzt hatten. Also verlangten sie von den USA auch die ganz offizielle Aufgabe des Standpunkts, daß Dollar gleich Gold, also von jeder Nationalbank auch als solches zu handhaben sei; also die Anerkennung ihres durch Konkurrenzerfolge erworbenen Rechts, frei über die Verwendung ihres Kredits verfügen zu dürfen und ihn nicht zur Dollarstützung „verschleudern“ zu müssen.
Die USA weigerten sich. Sie hielten es nämlich für eine unverzichtbare Funktionsbedingung ihres Systems des freien Weltmarkts und des gemeinsam verbürgten Kredits, daß die Staatenwelt gemeinsam für den Dollar als Garantiegeld geradestehen müsse. Die Maßnahmen, die die USA gegen die Ent-Wertung des Dollar ergriffen, waren allerdings ziemlich widersprüchlich. Zunächst verboten sie in Europa zirkulierenden Dollars die Rückkehr in die USA. Was sich in Europa neben den Notenbankreserven als eigener Kreditüberbau in amerikanischem Geld aufgebaut hatte und dort der spekulationsfreudigen Finanzwelt lange Jahre als zusätzliche Anlage- und Verdienstquelle gedient hatte, der berühmte „Euro-Dollar“, sollte jetzt, wo gegen den Dollar auf die Eurogelder spekuliert wurde, nicht über den Ozean „zurückschwappen“. Damit gaben die USA implizit zu, daß diese Dollars Schulden waren – und verfügten gleichzeitig, daß sie als solche Schulden nicht gegen sie geltend gemacht werden durften. Dann gingen sie noch einen Schritt weiter und hoben die „Golddeckung“ des Dollar auf, hielten aber daran fest, daß die Wechselkurse sich am Dollar zu orientieren hätten. Damit gestanden sie ein, daß auch hinter ihrem Geld nichts anderes stand als ihre ökonomisch zu beweisende Macht, und verlangten zugleich von den Euro-Staaten, daß sie die politische Vormacht der USA als Grund anzuerkennen hätten, weshalb deren Kredit-Geld etwas ganz anderes sei als die Währungen der Konkurrenz.

Indem die USA Konkurrenzresultate nicht gelten ließen, stellten sie allerdings selbst das System des freien Welthandels infrage. Sie provozierten Reaktionen der Europäer zum Schutz ihrer Währungen vor der Entwertung des Dollar und damit eine Aufkündigung des freien Hin und Her von Kapital und Kredit; also genau die weltweite Kredit- und Wirtschaftskrise, die das neue System so erfolgreich verhindert hatte. Die Europäer hatten sie mit der Frage konfrontiert, ob denn nun freie Konkurrenz gelten solle oder nicht; und insofern den USA am Fortbestand des System viel lag, blieb ihnen nach langem Hin und Her nichts anderes übrig, als einer gemeinsam geregelten und beaufsichtigten Freigabe der Wechselkurse zuzustimmen.
Was sich im Streit über den Wechselkurs und die Modalitäten seiner Festlegung abspielte, war also ein Streit um die Prinzipien der Weltmarktkonkurrenz; und die Aufhebung der Garantien von Bretton Woods bedeutete für den Supranationalismus der USA eine entscheidende Reform. Denn was jetzt entstand, war die seltsame Lage, daß es für die Gesamtheit aller Währungen keine andere Garantie ihrer Geldgleichheit gab als der jeweilige Stand ihrer Konkurrenz untereinander. Das schuf zwar für alle Beteiligten durchaus neue Freiheiten, Kredit in die Welt zu setzen, und heizte die weltweite Verschuldung erst so richtig an. Aber es erzwang auch neue Formen des Kooperierens und gemeinsamen Aufpassens auf einen Weltkredit, den Europäer wie USA in Konkurrenz zueinander in die Welt setzten und benutzten.
In der damaligen Lage waren es noch in erster Linie die auswärtigen Dollarinhaber, also auch und gerade die diversen Nationalbanken, die den Wertverlust des Dollar zu tragen hatten; und die Stellung der USA im westlichen Bündnis, die in der Zirkulation befindlichen Dollarmassen und die immer noch überragende Anzahl von Transaktionen, die in und über die USA abgewickelt wurden, sorgten weiterhin dafür, daß der Dollar eine fest etablierte Weltwährung blieb. Aber er hatte mit dem Übergang zu freien Wechselkursen („Floaten“) weltöffentlich gezeigt, daß er sich mit anderen, kapitalistisch tüchtigen Währungen vergleichen lassen mußte, sie damit auch aufgewertet. Keine Frage: Europäische Ökonomie und Währung waren zu ernsthaften Konkurrenten aufgerückt. Und die USA mußten sich nun auf höherer Stufenleiter dem freien Spiel von Angebot und Nachfrage, insbesondere auch auf dem Geldmarkt, stellen.

 
Vom „politischen Dollar“ zur politischen EG-Währung

Für die EG-Staaten ergab sich aus der Freigabe des Dollarkurses und dem Übergang zu flexiblen, d.h. nach dem jeweiligen Stand von Angebot und Nachfrage zu fixierenden Kursen eine neue Lage, die wiederum gemeinsam zu bewältigen war.
Auf Basis des alten Wechselkurssystems hatten die nationalen Ökonomien der EG-Staaten, also auch deren Währungen, in unterschiedlichem Grad vom gemeinsamen Wirtschaftsraum profitiert, sich aber gemeinsam gegen den Dollar bewährt. Dieser Erfolg war festzuhalten; die zu erwartenden, unterschiedlichen Konsequenzen der Dollarkursfreigabe auf die verschiedenen Euro-Währungen deshalb abzufangen. Der feste Kurs zum Dollar hatte auch die Währungskonkurrenz der EG-Staaten untereinander weitgehend sistiert; die drohte nun aufzubrechen, wenn sich jede Nation herausgefordert sähe, mit eigenen Mitteln den neuen Bedingungen des Währungsvergleichs standzuhalten. Das mußte das Gesamtprojekt gefährden; vor allem, weil diese Mittel ja nur noch bedingt „eigen“ waren. Zwar konnte jede Nation auf eigene Rechnung Kurspflege, Währungspolitik gegen die anderen betreiben; aber eben diese mußte die Grundlagen aller EG-Gelder gefährden, nämlich die Exportfähigkeit des EG-Marktes und die Konkurrenzfähigkeit des EG-Kapitals, die längst gemeinschaftlich gesichert wurden.
Die Aufwertung ihrer Währungen – die der Geldmarkt nach Freigabe der Wechselkurse prompt vollzog; die deutsche Regierung hatte die D-Mark schon vorher einmal aufgewertet – brachte den EG-Staaten zunächst einmal einige Schwierigkeiten:
Erstens geriet die Geschäftsgrundlage der Kapitalisten in Unordnung, weil sich die Preisrelationen insbesondere im Export – sofern er in Dollar geschah – gründlich veränderten. Das spornte sie aber auf lange Sicht nur dazu an, sich von Wechselkursbewegungen unabhängig zu machen: Einerseits, indem sie ihren Käufern noch mehr als schon geschehen die Bezahlung in eigener Währung abverlangten, was sie konnten, weil sie sich auf dem Weltmarkt schon ziemlich unverzichtbar gemacht hatten; andererseits, indem sie vermehrt Kapital in ferne Länder transportierten, ohne deswegen beim Warenexport nachzulassen.
Zweitens fielen die Aufwertungen unterschiedlich aus. In der Bundesbank lagerten die meisten Dollars; die DM war stärkste Währung der EG. An der rücksichtslosen Durchsetzung deutschen Geldes gegen die EG-Partner konnte keiner EG-Nation gelegen sein. Der Konkurrenz ohnehin nicht, die hätte zusehen – oder sich dagegen wehren – müssen, daß die DM alles aufkauft. Aber auch der BRD nicht; hätte sie doch mit der Durchsetzung ihres Geldes, also der Schädigung der Währungen der EG-Konkurrenz, eben die auswärtige Zahlungsfähigkeit ruiniert, die sie als Exportnation in der EG benutzen wollte. Und damit hätte der EG-(Export)-Erfolg überhaupt, von dem alle abhängig waren, auf dem Spiel gestanden.
Die Entwertung des Dollar strapazierte den politökonomischen Zusammenhalt der Gemeinschaft also erheblich. Eben deshalb war wieder einmal zu prüfen, was im Sinne des Gemeinschaftsprojekts zu unternehmen sei, um den hergestellten Konkurrenzerfolg zu sichern, also voranzutreiben. Die relative Stärkung der DM gegenüber den anderen EG-Währungen war als positives Mittel der Gemeinschaft in Anschlag zu bringen, die Währungskonkurrenz als Kooperation abzuwickeln.
In diesem Geiste beschlossen die EG-Staaten, ihre Währungen ihrerseits gegeneinander zu fixieren (in Bandbreiten) und als Block gegen den Dollar zu „floaten“ („schmutziges Floaten“). Damit „verteilten“ sie die Risiken der Aufwertung aufeinander. Wenn es zu Auf- und Abwertungen innerhalb des Blocks kam, so beruhten sie auf einem gemeinschaftlichen politischen Beschluß; die Partner verhandelten Vor- und Nachteile, die sie aus der getroffenen Maßnahme zu ziehen gedachten bzw. hinzunehmen bereit waren; sie setzten die Konkurrenz der Währungen für sichzumindest teilweise außer Kraft, um sie gegen den Dollar bestehen zu können.
Die EG-Staaten beschlossen also ihrerseits politische Wechselkurse . Als Reaktion auf die Kurs-Freigabe des Dollar war das zunächst eine rein defensive Maßnahme. Damit hatten sich die EG-Staaten aber der Sache nach schon auf eine gemeinsame Beaufsichtigung ihrer jeweiligen nationalen Gelder geeinigt, die bei der bloßen Wechselkurspflege nach außen nicht stehenbleiben konnte. Denn sie hatten sich ja entschieden, sich gemeinschaftlich für die Wirkungen verantwortlich zu erklären, die relative Kursverschiebungen ihrer Währungen untereinander auf das Kursverhältnis ihrer Währungen als Block zum Dollar haben würde. Und das rückte automatisch den je nationalen Umgang mit dem eigenen Kredit in Form von Haushalt, Verschuldung etc. als mitverantwortlich für die relative Stärke und Schwäche der EG-Währungen ins gemeinschaftliche Blickfeld. Konkurrenzvorteile einer Währung gegen die andere waren nicht schrankenlos auszunutzen; aber umgekehrt war auch eine nationale Verschuldung nicht zuzulassen, die mit der Entwertung eines EG-Geldes den anderen übermäßige Kosten für den Erhalt des fixen Kurses aufbürdete.
Damit hatten sich die EG-Staaten in einem weiteren wesentlichen Punkt voneinander abhängig gemacht, nämlich beim Gebrauch der Geldhoheit. Diese Abhängigkeit war einzelnen Staaten immer mal wieder zuviel. Es kam zu Austritten aus der „Währungsschlange“, zum Streit um die Bandbreiten und um Modi der Absprache, erst recht zu Streit bei Auf- und Abwertungen. Aber auch immer mehr Staaten traten der „Schlange“ bei. Schließlich wurde die „Schlange“ in einen „Tunnel“ gesteckt, heißt: Die Staaten sorgten sich um das internationale Ansehen ihres Währungs- Blocks, da er gar zu sehr gegen den Dollar hin- und herschwankte, und sorgten durch gemeinsame Vorsorgemaßnahmen für eine „Verstetigung“ des Kursverhältnisses zum Dollar. Mit der Einrichtung des „Europäischen Währungssystems“ (EWS) ging die wechselseitige Abhängigkeit endlich so weit, daß über die gemeinsame Währungspolitik ein „Konsolidierungs“-Zwang auf die nationalen Haushalte ausgeübt wurde. Dazu später.
Die EG-Staaten sind also auch in Belangen ihres obersten ökonomischen Souveränitätsmittels, ihres Nationalkredits, ihrem Prinzip treu geblieben, aus befürchteten Gefährdungen ihres Weltmarkt- und -machtprojekts neue Gründe für’s Zusammenhalten zu machen. Mit ihren Beschlüssen zu „Währungsschlange“ und „Tunnel“ zwangen sie sich wechselseitig, sich auch ums Geld als gemeinsame Ressource ihres ökonomischen Vorankommens zu kümmern. Daß sie dies bislang noch in der Form des Streits um die hoheitliche Verfügung über nationale Verschuldungsmittel abwickeln, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie allesamt in dieser Abteilung wesentliche Verfügungsrechte nationaler Souveräne bereits an die Instanzen ihres gemeinschaftlichen Projekts abgegeben haben. Der Erfolg, so sehen sie es, gibt ihnen recht.

 

Zwischenfazit: Europäische „Streitkultur“

Der Streit um die Vermeidung von Verlusten auf dem Feld der Konkurrenz hat kaum die Gestalt der Drohung angenommen, die Mitgliedschaft zu kündigen. Er wurde und wird geführt um diegemeinschaftlichen Regeln, also um Kompromisse bei der Fortführung des Bündnisses. Die bereits praktizierten Übereinkünfte haben die Geschäftsbedingungen der Mitgliederländer offenbar jeweils so modifiziert, daß ein „Ausstieg“ nicht geraten schien; zumal die Perspektive, von einer fortexistierenden Gemeinschaft in den Status eines außerhalb stehenden Konkurrenten versetzt zu werden, jedes kleinliche Rechnen überflüssig macht. Für Staatenlenker, die sich auf ein Wirtschaftsbündnis eingelassen haben, weil sie ihren Anteil am Weltmarkt für zu gering befinden, nehmen die Erfolge der EG eben den Charakter eines Sachzwangs an, dem sie sich nicht entziehen können. Sie gestalten ihn vielmehr nach Kräften mit.

*

Die berühmt gewordene „Schlange im Tunnel“ zeigt anschaulich, wie sich die Gemeinschaft ihre Fortschritte erstreitet. Das gemeinsame Interesse gegenüber dem Supranationalismus der USA wirkt gegenüber dem nationalen Interesse wie eine Erziehungsinstanz. Ganz national gedacht, machen die Staaten eine simple Rechnung auf: Um mit den USA konkurrieren zu können, versichern sie sich des Beistands anderer Nationen; dadurch werden sie reich, schön und mächtig – als Nationen. Diese Rechnung geht so nicht auf: Neugewonnene Potenzen der Gemeinschaft sortieren sich gar nicht zurück auf die beteiligten Nationen als einzelne, sondern werden zu Potenzen der Gemeinschaft. Wollen die Nationen angesichts dieses Resultats auf ihrem Anfangspunkt bestehen, dann müssen sie auch einen Widerspruch aushalten: Ihre nationalen Rechte in aller Welt erweitern sie nur in dem Maße, wie sie „gemeinschaftsverträglich“ handeln, aber auch akzeptieren, daß ihre nationale Macht stets als Bestandteil von, oder als Beitrag zu, auf jeden Fall aber untergeordnet unter die Macht des Ganzen wächst. Damit sind die „nationalen Alleingänge“ noch nicht abgeschafft, aber sie müssen sich eine Begutachtung durch die Gemeinschaft gefallen lassen, die auch Beschränkung und sogar Verbot anordnen kann. Darüber hat sich herausgestellt, daß die Wahrnehmung nationaler Rechte oftmals gar nicht länger „zweckmäßig“ ist und sie wirkungsvoller zum Zuge kommen, wenn sie aufgegeben und an die Gemeinschaft übertragenwerden. Die Nationen tauschen sozusagen die Abhängigkeit vom Supranationalismus der USA, dessen Zwang zur Bewährung auf dem Weltmarkt, ein gegen die Zwänge, die ihr neuer Super-Staat jedem einzelnen Nationalismus antut. In ihrem Streit bringen sich die Nationen wechselseitig bei, daß das nötig ist.

Der uralte Grundsatzstreit „Europa der Vaterländer versus Vereinigte Staaten von Europa“ ist dafür aufschlußreich. Der alte de Gaulle wollte den wiederaufkommenden Erbfeind politisch kontrollieren und seine Wirtschaftsmacht für Frankreich nutzbar machen; dafür proklamierte er „Gemeinschaft“. Die sollte in seiner vagen Vorstellung immer gerade so weit gehen, daß sieFrankreich zuerst nützte, also Deutschland am zweiten Platz festhielt. Deutschland hingegen sah in mehr „Gemeinschaft“ die Chance, aus der Rolle des Kriegsverlierers heraus in die des Anführers eines mächtigen Staatenbündnisses hineinzuspringen. So waren die Deutschen immer viel „gemeinschaftlicher“, aber ebenso mit dem banalen Hintergedanken, daß das neue Gebilde im wesentlichen das ihre sein würde. All diese nationalen Rechnungen und Vorstellungen nützen aber gar nichts, wenn die Gemeinschaft, auf die ja nun mal beide angewiesen sind, ihr Recht fordert; instrumentalisieren kann man etwas ja nun mal nur, wenn es das auch gibt. Tatsächlich ist dieser Grundsatzstreit kategorisch und kennt nur zwei Auflösungen: Entweder schreiten die Nationen zu den „Vereinigten Staaten von Europa“ voran – oder sie blasen das ganze Projekt ab.
Wie hat man sich dieses „Erziehen“ vorzustellen? Die EG hat auf ihrem Weg eine Art eigener „Streitkultur“ entwickelt. Bei jedem Stück „Marktordnung“ stellte sich bald heraus, daß einige EG-Staaten die Wirkungen unerträglich fanden. Was aber bei anderen Staatenbündnissen zum Auseinanderfallen geführte hätte – weswegen sie es auch nie zu einem so umfänglichen Methodenpaket gebracht haben –, war in der EG der quasi fix eingebaute Motor des Fortschritts. Der Streit über die Methoden bzw. ihre Wirkungen wuchs sich immer gleich zu einer Zerreißprobe aus, die den Beteiligten routinemäßig die Gretchenfrage vorlegte: Willst du nun mitmachen bei unserem Anti-Amerika-Projekt und siehst du – falls nicht – eine Alternative?! Insofern beinhalteten die erbitterten Streitigkeiten, die laufend höchste Souveränitätsfragen ins Spiel brachten, ohne sie auflösen zu wollen und/ oder zu können, einen unerbittlichen Einungszwang, dessen Merkmal es war, gerade keine eindeutigen Sieger und Verlierer zu produzieren. Das wiederum versetzte die EG-Beamten in die Lage, mit ihren erstaunlichen Lösungsmodellen aufzuwarten. Und diese Beamten haben sich ganz zurecht aufgrund ihrer Erfahrungen mittlerweile die Haltung zugelegt, daß sie die Fachleute eines über den Nationen stehenden Europas sind.

Diese speziell europäische Technik, sich selbst bzw. wechselseitig immer mit der Frage zu konfrontieren, wieviel Druck die Nationen auf ihre empfindlichsten Stellen wg. Weltordnungsanspruch auszuhalten bereit sind, macht das Sachzwang-Wesen in der EG so methodisch und so wirkungsvoll. Hier handelt es sich ja nicht um die übliche Tour von Staatsleuten, sich von ihren eigenen Interessen knechten zu lassen, indem sie ihnen Gesetzesform geben. Wenn sich unter Einigungs- (oder Ausschluß-) Zwang stehende nationale Führer auf irgendeinen Kompromiß einlassen, dann bleibt ihnen die alles wieder umkehrende Einsprache verwehrt; dann werden die von der EG-Bürokratie „praktikabel“ gemachten Kompromißformeln tatsächlich zu Sachzwängen, deren Wirken hingenommen werden muß und die den Widerstand des nationalistischen Willens im Euro-Imperialisten letztlich brechen. Auf diese Weise wird sich so mancher EG-Staatsmann im Nachhinein gelinkt vorgekommen sein, während der andere sich über das in ihm schlummernde Verhandlungsgeschick, das ihm während der Verhandlungen selbst gar nicht so aufgefallen war, freut – die Wahrheit ist das nicht. Die Sachzwänge, die sie ins Werk setzen bzw. setzen lassen, orientieren sich an der Pflege des Kampfmittels der EG – der Wucht des Kapitals –, das allen Beteiligten so sehr am Herzen liegt. Während der Supranationalismus der USA darauf beruht, daß sie letztlich doch die Monopolmacht sind, die die Ordnung vorgibt und alle anderen nationalen Interessen mit ihren Verboten und Erlaubnissen relativiert, herrscht in der EG tatsächlich eine Art innere, nämlich imperialistische Einsicht in die Notwendigkeit der Aufgabe nationaler Souveränitätsrechte aus dem Zwang heraus, sich durchsetzen zu müssen. So treffen die nationalen Einwendungen immer auf eine vielfältige Gegenrede, die sie auffordert, sich für den Gemeinschaftszweck zurückzunehmen. Diese Gegenrede appelliert an die Einsicht im werdenden europäischen Staatsmann, wobei es denn auch gar nichts ausmacht, daß die Einsicht im Normalfall so verläuft: Also gut, ich lasse mir wegen Europa einiges bieten, aber nur, damit hinterher meine Nation besser dasteht. Das macht deswegen nichts aus, weil sich um diesen nationalen Nachsatz die ins Werk gesetzten Sachzwänge eben nicht mehr kümmern, auf ihre witzige Art „hinter dem Rücken“ der Staatsleute die EG voranbringen – und schließlich sogar ganz neue und andere Vorteile und Selbstverständlichkeiten zur Grundlage der jeweils nächsten Verhandlungsrunde machen als die ursprünglich bezweckten.
Insofern geht die euro-nationalistische Kritik an einem „Europa des Schacherns“ ziemlich an der Sache vorbei. Die behauptet, daß Europa sich mit seinen Tauschhändeln selber lähmt und nationale Gegensätze letztlich unversöhnlich sind; mißt also den jeweils erreichten Stand der Durchsetzung des Bündnisses am Ideal national-souveränen Zuschlagens und verpaßt darüber glatt, was da in welcher Richtung vorankommt. Dabei zeigt der Umstand, daß dieses Schachern einfach nicht aufhören will, gerade den Erfolg dieser Methode. Genau die Zankerei sorgt für das schrittweise Zurückdrängen der nationalen Interessen: Einerseits werden immer mehr Bestandteile der nationalen Hoheit in den Verhandlungsprozeß hineingezogen, andererseits in gemeinschaftlich verwaltete Routinen verwandelt. Stoff für Verhandlungen und Zank in ihnen ist garantiert – aber all das meldet nur, daß Europa sich immer mehr von seinen nationalen Sonderwegen und Befindlichkeiten weg- und zu seinem originären Zweck hindebattiert.

Der Nationalismus von unten wird bei solchen komplizierten Machenschaften ziemlich auf die Probe gestellt. Der gelaufene Zusammenschluß hat das Nationalinteresse nachgewiesenermaßen bedient. Die unablässig gestellte Frage: „Wie stünden wir da ohne...?“ führt zur Aufreihung endloser Vor- und Nachteile, die doch immer wieder irgendwie ein Überwiegen der Vorteile saldiert – wobei es natürlich auch Gruppen und Fraktionen gibt, die das nicht so sehen wollen. Der gewöhnliche Nationalismus hat sich erweitert um einen „Europastolz“. Irgendwie kann sich noch der letzte kleine Mann vorstellen, daß seine Nation was größeres darstellt, wenn sie sich um den sicheren Beistand einiger mächtiger Staaten erweitert. Und für die höheren Geister macht sich der kosmopolitische touch gut, dem man dem ganzen anhängen kann: Bornierter Nationalist braucht man sich von niemandem mehr nennen zu lassen, wenn man die gestiegenen Erfolgschancen seiner Nation, die sich nicht länger auf abenteuerliche Alleingänge einläßt, wohlgefällig begutachtet.
So ist fast ein jeder irgendwie für Europa. Aber ein jeder ist auch sehr kritisch: Nach der Einsicht in den „abstrakten“ Nutzen der EG – daß es ohne sie nicht geht, daß sich die Nation mit und in ihr auf jeden Fall besser steht – muß die Frage nach dem „konkreten“ Nutzen kommen. Den weiß natürlich niemand zu benennen. Aufsummiert wird der relativeunterschiedlich ausfallendeNutzen der EG für die einzelnen Nationen, die sich in Tabellenplätze einordnen, die nie volle Zufriedenheit stiften können – und das gilt selbst für die Nr. 1, die sich als ausgebeutetes Dienstleistungsunternehmen interpretiert. Die Einsicht in die grundsätzliche Notwendigkeit der EG ist von dem Zweifel befallen, ob nicht die anderen Nationen besser fahren, und zwar auf Kosten und mit Hilfe der eigenen Nation. So schwankt der normale Nationalist zwischen eigenem und EG-Nationalismus hin und her und muß sich immer von oben sagen lassen, welche Fortschritte seine Nation nun gemacht habe, indem sie sich schon wieder europamäßiger aufführt. So verpaßt die national interessierte Öffentlichkeit glatt den Witz, daß es sich längst umgekehrt verhält: Daß alle Nationen nur in dem Maße reich und mächtig sind, wie die EG selbst zu einer Macht wird, an der auf der Welt kein Staat mehr vorbeikann.

Für die Politiker ist die Sache einerseits schwieriger, andererseits leichter. Schwierig ist für sie, daß sie lauter angestammte Felder des Politikmachens aufgeben, daß die Exklusivitäten, die selbst noch die kleinste Nation bereithält, Hindernisse für den Europafortschritt sind und ausgeräumt werden müssen. Da allerdings kommen die Politiker umso mehr ins Spiel, denn ohne ihr aktives Tun ist die Sache ja nicht zu haben – also werden sie darüber auch mit einer neuen Wichtigkeit versehen. Aber nicht nur das: Der Machtzuwachs des neuen Europa ist ja auch einer ihres eigentümlichen Berufes; Politikmachen wird überhaupt mit einer neuen Wucht ausgestattet. Das heizt ihre Konkurrenz nur an, wofür sie sich natürlich unablässig auf die Verantwortung berufen, die sie für „ihre“ Region oder „ihren“ Standort tragen. Daß sich der staatliche Charakter von Region und Standort ganz grundsätzlich geändert hat, macht ihnen da schon nichts mehr aus; sie haben auch weiterhin ganz viel Repräsentationsmaterial und erst recht ganz viel imperialistischen Auftrag, was beides ihre ganze Kreativität und Abgefeimtheit verlangt.
So trennt sich ein bißchen die wirkliche Machtbasis der EG-Politiker vom Formalismus der politischen Institutionen, von denen sie sich nach wie vor zu ihrem Dienst beauftragen lassen; womit im Übrigen wieder einmal schön beleuchtet wird, wovon die politische Macht der Souveräne wirklich abhängt. Daß der ganze europäische Aufstieg zur Weltmacht ganz ohne die angeblich entscheidenden Einrichtungen unserer herrlichen Demokratie vonstatten gegangen ist; daß Europawahl und Europaparlament praktisch nichts anderes sind als Spielwiesen für Europaidee-Demonstrationszwecke, gibt zwar manchmal zu Mäkeleien von sich ausgebootet fühlenden Oppositionsparteien Anlaß, stört beim Voranbringen des Projekts EG aber überhaupt nicht. Die wesentlichen Dinge, nämlich wie der neue Staat aussehen soll, machen die Politiker unter sich aus, gefragt wird da sonst keiner. Bei den neugeschaffenen Dienstverhältnissen und als Material der imperialistischen Projekte des neuen Europa muß freilich jeder mitmachen. Und wenn „Europa“ einmal fertig ist – dann werden die Völker schon noch in den Genuß kommen, auch die dafür nötigen Personagen beauftragen zu dürfen.

P.S.

Von der ungemütlichen Wirkung, die das Projekt Europa daheim und auswärts – im Osten und im Süden, wie man zu sagen pflegt – auf das Leben von Arbeitern und Bauern, von Negern und Flüchtlingen hat, ist hier nicht die Rede. Dergleichen steht schließlich auch jeden Tag in der Zeitung. Nur daß die Verelendung dort nicht als Produkt des europäischen Gesamtkunstwerks vorkommt, sondern als Betreuungsproblem. Die effektive Benutzung des Menschenmaterials erfordert seine Behandlung nach allen alten und neuen Techniken kapitalistischer Kunst, die sich um den Preis der Arbeit dreht; und die Kontrolle des unbrauchbaren lebenden Inventars auf dem Weltmarkt bedarf des verantwortungsbewußten Einsatzes der Instrumente, die den Frieden ordnen. Und die sind bei denen, die am „neuen Europa“ bauen, offensichtlich in den genau richtigen Händen.

 

erschienen in: GegenStandpunkt (Politische Vierteljahreszeitschrift) 1992/1

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