Rechtskunde der MSZ

FRIEDENSVERRAT


Gemäß dem Auftrag des Grundgesetzes (Art. 26 (1)):

„Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.“

hat der Gesetzgeber unter dem Stichwort „Friedensverrat“ die Vorbereitung eines Angriffskrieges (StGB §80) sowie das Aufstacheln zu einem Angriffskrieg (§80a) unter Strafe gestellt:

„Wer einen Angriffskrieg, an dem die Bundesrepublik Deutschland beteiligt sein soll, vorbereitet und dadurch die Gefahr eines Krieges für die Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft.“

Soweit die Gesetze.


Angriffsziel ungenügend bestimmt

Ein paar linke Rechtsanwälte haben Strafanzeige gegen den stellvertretenden Chefredakteur des „Münchner Merkur“, Hans Troß, gestellt wegen seiner Meinung, wie sich die BRD zur Situation in den Ölländern zu stellen habe:

„Bevor es zu Bürgerkriegen um die Energie kommt, sollte man den Ölerpressern das Handwerk legen. Mögliche Reaktionen Moskaus nicht außer acht lassend, müßte es Ziel des Westens sein, die Ölfelder zu besetzen, um dann die Fördermenge so zu regulieren, daß das Öl für alle reicht.“

Die ermittelnde Staatsanwaltschaft hat nun kürzlich bekannt gegeben, daß das Ermittlungsverfahren wegen Verdachts des Aufstachelns zum Angriffskrieg eingestellt wird, da der Tatbestand des §80a StGB nicht ausreichend erfüllt sei.

„Zum einen habe Troß die Länder, denen ein solcher Angriff gelten solle, ebenso wie die Art und Weise der Durchführung eines derartigen Krieges ungenügend bestimmt. Zum anderen fehle es an einem Aufstacheln, da der Artikel nicht reißerisch aufgemacht gewesen sei. Darüber hinaus habe der Journalist nicht mit Bestimmtheit gesagt, daß sich auch die Bundesrepublik Deutschland an einem derartigen Angriff beteiligen solle.“ (Frankfurter Rundschau)

Daß der Schreiber obiger Zeilen nicht zu verurteilen war, stand fest. Wie sollte er auch, wenn unser Kanzler schon festgestellt hat, daß „ein Krieg ums Öl nicht auszuschließen ist“. Und das heißt allemal, daß er geführt sein will. Auch die Formulierung des gleichen Sachverhalts durch den bayerischen Ministerpräsidenten:

„Der weltweite Verteilungskampf um die Energie hat gerade erst begonnen“,

hält niemand für das, was es ist, sondern die nüchterne Feststellung bitterer Notwendigkeiten. Insofern bieten die Interpretationskünste des Staatsanwalts wenig Interessantes, außer daß die Auslegungsmöglichkeiten des § 80 StGB bei weitem nicht genützt worden sind. Das Herbeiführen einer Gefahr für die BRD durch die Vorbereitung eines Angriffskrieges geht nämlich von dem Gegensatz der Interessen der BRD und des Kriegsvorbereiters bzw. -hetzers aus.


Verteidigungsfall nicht erkannt

Der Münchner Oberstaatsanwalt hat sich also seine Übung etwas leicht gemacht, indem er den Leitartikelverfasser des „Münchner Merkur“ lediglich defensiv in Schutz genommen hat. Mehr Sorgfalt auf die Konkretisierung der Gedanken ihres obersten Dienstherren Apel: „Der Friede in der Welt ist unteilbar“ haben ein paar alte Haudegen aus einem Kreiswehrersatzamt verwandt. Ein Wehrdienstverweigerer, der als Verweigerungsgrund die mögliche Verwicklung der BRD in eine Intervention mit Waffengewalt in den OPEC-Staaten, wie sie etwa Henry Kissinger erwogen hat, angab, weil er dies als Angriffskrieg ansehe, wurde wie folgt ablehnend beschieden:

„Der Antragsteller hat verkannt, daß durch einen Erdölboykott die gesamte westliche Welt durchaus in eine notstandsähnliche Situation geraten könnte. Nach Meinung des Prüfungsausschusses könnte der Antragsteller, wenn er sich die hier interessierenden Fragen eingehender durchdenken würde, sich auch an einer solchen Besetzung durchaus beteiligen, wenn er bedenken würde, daß dabei viele Tausend und Millionen Menschenleben auf dem Spiel stehen würden, diese Menschenleben sind aber schutzwürdiger als wirtschaftliche Einrichtungen, die durch Boykott oder Blockade der dort arbeitenden Menschen nicht bedient werden.“

Aufgrund der vorherrschenden Meinung vom Unterschied zwischen Angriffs- und Verteidigungskrieg ist einem Wehrdienstverweigerer aufgefallen, daß die Bundesrepublik aufgrund der Bündnisse, die sie geschlossen hat, an einer militärischen Aktion sich beteiligen könnte, die bislang als die Domäne der USA galt, und mit dem, wie man sich einen Verteidigungskrieg gerne vorstellt, wenig zu tun hat. Der „Spiegel“ machte sich eilfertig zum Anwalt des Kriegsdienstverweigerers und streitet mit dem Grundgesetz um die rechtsstaatlich einwandfreie Distinktion zwischen erlaubtem und unerlaubtem Krieg:

„Dem Trick, etwa einen Ölboykott begrifflich in einen Angriff umzumünzen, gegen den militärische Verteidigung dann gerechtfertigt wäre, hat die Verfassung schon vorgebeugt. Denn das Grundgesetz enthält auch die eindeutige Definition des »Verteidigungsfalles«. Artikel 115a:
„Die Feststellung, daß das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht (Verteidigungsfall), trifft der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates.“

Die bornierte Auslegung des „Spiegel“, daß Verteidigung nur dann der Fall ist, wenn sich die Roten im Böhmerwald aufstellen, können wir dem Grundgesetzartikel nicht entnehmen. Er legt zunächst einmal fest, daß die Feststellung des Verteidigungsfalles eine politische Frage ist, die von den Männern, die auch sonst für alles in unserem Staatswesen die Verantwortung tragen, gelöst wird. Und wie der Antragsteller im Verweigerungsverfahren richtig herausgefunden hat, bestehen für die Bundesrepublik internationale „Verpflichtungen“ durch die NATO oder sonstwas, die es notwendig machen können, unseren Verbündeten „zu Hilfe“ zu eilen. Für den Fall, daß ein solcher Verteidigungsfall zu einem inneren Fall in der Bundesrepublik führt, ist ja auch schon länger vorgesorgt. Ebenso hat das Kreiswehrersatzamt argumentativ vorgeführt, wie uns ein internationaler „Notstand“ dazu zwingen kann, unsere Rechte in der Welt mit der Bundeswehr wahrzunehmen, um ,,Schlimmeres zu verhüten“. Im übrigen haben die Amis in Vietnam ja lange genug vorgeführt, wie man einen Verteidigungskrieg führt, ohne daß der Verteidigungsfall eintritt, man also einer Nation, die man bekriegt, auch formal korrekt den Krieg erklärt. Die erschrockene Reaktion des Wehrdienstverweigerers auf seinen Ablehnungsbescheid:

„Wenn das kein Angriffskrieg ist, ist jeder Krieg ein Verteidigungskrieg!“

trifft die Sache, nur glaubt er es nicht.


Kriegsgrund undiplomatisch formuliert

Wenn das Bundesverteidigungsministerium, vom „Spiegel“ über den Ablehnungsbescheid befragt, „völliges Unverständnis“ äußert, und das Ganze, Nachforschungen vor Ort vorbehalten, „für unvereinbar mit der Gesetzeslage hält“, hat dies nicht den Grund, daß das Kreiswehrersatzamt die Aufgaben der Bundeswehr falsch bestimmt hätte. Es hat ganz klar das Bedürfnis erkannt, zu formulieren, welche Pflichten zum Dienst im Barras gehören, die deshalb kein Verweigerungsgrund sein dürfen. Allerdings ist es bei der Formulierung undiplomatisch vorgegangen; schließlich haben wir neben innenpolitischen immer noch außenpolitische Rücksichten zu nehmen. Das Bundesverteidigungsministerium wird also das Kreiswehrersatzamt rügen, daß es nicht formal argumentiert hat, und ihm in der Sache recht geben. Denn erstens steht es keinem Wehrdienstverweigerer zu, eine demokratische Institution wie die Bundeswehr der Absicht eines Angriffskrieges zu bezichtigen, wo es doch für jeden Fall Gesetze gibt; und zweitens hat ein Wehrpflichtiger nicht darüber zu befinden, welche politischen Gründe für einen Krieg ausreichend sind; die haben die Politiker festzulegen.

Die blöde Tour von Intellektuellen, sich angesichts einer offen diskutierten Möglichkeit der Verwicklung der Bundesrepublik in militärische Auseinandersetzungen aufzuregen und auf die rechtlichen Bestimmungen zu pochen, die dazu noch nicht einmal hergeben, was man sich von ihnen verspricht, kann einen schon aufregen. Wo die Macher dauernd sagen, was ansteht, und das Volk am Stammtisch schwadroniert, daß man da mal rüberrücken muß. Denn die müssen es ja letztlich.

 

aus: MSZ 31 – Oktober 1979

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