Die Exorzisten


William Friedkin hat einen Film über den Teufel gemacht, nach Auffassung aller aufgeklärten Menschen also über einen Gegenstand, den es in der Wirklichkeit nicht gibt. Ist sein Film also ein Märchenfilm oder fällt er ins Science-Fiction-Genre? Mitnichten: der Film – wie schon seine Vorlage, W. Blattys gleichnamiger Roman – geben sich den Anschein der Authentizität, die Dialoge der Ärzte und Teufelsaustreiber sind eine unfreiwillige Persiflage bürgerlicher Wissenschaft, ebenso die Milieustudie der amerikanischen upper-middleclass. Was also macht den Film zu „Hollywoods bisher spektakulärster Attacke auf Nerven und Gefühle der Zuschauer“?


„Ich kann mich nicht bereden lassen, Macht mir den Teufel nur nicht klein: Ein Kerl, den alle Menschen hassen, Der muß was sein!“ GOETHE, Zahme Xenien IX


Der KBW und der Teufel

Der KBW hat sich diese Frage auch vorgelegt und kann sie sich nicht beantworten, Denn einerseits zieht

„das Lumpenpack der Bourgeoisie aus den Sumpfniederungen ihrer verrotteten Kultur ein fettes Geschäft an Land“ und „Der Film wird auch hier eine Menge Geld einspielen … weil eine aufwendige Werbung das verspricht“

andererseits aber ist er zum Mißerfolg verurteilt denn „Das Volk läßt sich nicht für dumm verkaufen“, wenn der Teufel in dem Mädchen Regan sich austobt, wird das „mit Lachen quittiert.“ (alle Zitate KVZ Nr. 21, p. 16) Das sollte es aber nicht tun, sondern sich folgende Überlegung des KBW zu eigen machen:

„Wenn man bedenkt, welche Massen von Geld in der Filmwirtschaft eingesetzt werden können, mit dem einzigen Ziel, diese Geldmenge um ein Vielfaches zu erhöhen, wenn man gleichzeitig bedenkt, daß in der kapitalistischen Gesellschaft oft die einfachsten und alltäglichsten Probleme angeblich wegen Geldmangels nicht gelöst werden können, kann man ermessen, welch ungeheure parasitäre Apparate sich in der Epoche des sterbenden Kapitalismus gebildet haben.“

Woraus dann für den KBW folgt, der Film sei „den Wunschträumen der Bourgeoisie“ entsprungen:

„sie versucht. .. alle Krisenerscheinungen des Kapitalismus mit unbeeinflußbaren Mächten zu erklären, und ihre Ideologen scheuen keinen Aufwand und keine Kosten, um das Volk in entsprechender Weise zu bearbeiten.“

Der Teufel ist also eine Erfindung der „verrotteten Bourgeoisie“, worunter auch Papst Paul gezählt wird, mit „ideologischen Absichten.“ Soweit der KBW und sein Versuch „marxistisch-leninistischer“ Filmkritik.


Der Teufel und die Bürger

Goethes obenan gestellte Überlegung gab uns zu denken: nebst dem empirisch konstatierten Fakt, daß das Publikum des „Exorzisten“ vornehmlich die Bourgeoisie selbst ist, genauso wie Blattys Roman von ihr zum Bestseller gemacht wurde. Die Bourgeoisie, namentlich die gebildete, hat es nämlich mit dem Teufel, tritt er als Vampir auf (Graf Dracula), als Weltmann (Mephisto) oder als gallspuckendes Mädchen. Friedkus Film wirkt nur dann, wenn zwischen seinen Autoren und seinem Publikum ein Einverständnis darüber besteht, daß die Existenz des Teufels prinzipiell möglich ist. Wenn dem nicht so, dann wäre der Exorzist eine Märchenfigur oder ein geistlicher Perry Rhodan. Nicht warum die Bourgeoisie Filme über den Teufel macht, ist die Frage, sondern warum sie vor ihm – zweihundert Jahre nach der Aufklärung – immer noch Angst hat? „Der Teufel muß doch etwas sein; wie gäb's denn sonst auch Teufel?“ fragt der Dogmatiker in Fausts Walpurgisnachtstraum.

Tatsächlich ist der Film über den Teufel, der Boom des Okkultismus, nichts Spezifisches für die Dekadenz bürgerlicher Kultur, er begleitete sie als Reaktion seit den Tagen der Aufklärung. Die diversen Varianten der Faust-Geschichte, des Vampirismus und die Gothic Novel der späten Romantik sind seine Zeugnisse. Das Schlechte, das der Bürger in seiner Ordnung erfährt, wird ihm, weil unbegriffen, zum Bösen, vor dem er sich fürchtet. Fortschreitende Aufklärung verharmlost die Angst zum Gruseln, in dem sie zwar ihren lebensbedrohenden Schrecken verliert, nicht aber ihre Wurzeln. Der sogenannte Böse ist nur die Veranschaulichung des Unerklärten, die Personifizierung des Irrationalen. Die Angst vorm Teufel vergeht nicht mit der Denunziation derer, die von ihm profitieren. Auch der Bürger ist Bürger seiner Welt, deren Ideologie verfallen. Wer dem Bösen einen Auftraggeber andichtet, läßt es unerklärt stehen und nimmt ihm nichts von seiner Macht übers Bewußtsein.


Die Bürger und der KBW

Hier kommen wir zwangsläufig wieder auf den KBW. In seiner Zeitung findet sich zur „Erklärung“ der bürgerlichen Gesellschaft in der Regel folgendes: „Menschenverachtung des kapitalistischen Staatsapparates“, „Steuerreform ist Betrug“, „das große Kapital, das in den meisten Fällen seine politische Macht... über Politikerkauf und Beamtenkorruption ausübt“, „Was zeichnet die Lage der Arbeiterjugend gegenwärtig aus? – Den jugendlichen Arbeitern ist das kapitalistische Fabrikleben grundsätzlich zuwider“, „Imperialismus … diese schädliche Geißel der Menschheit“, „Die Verhältnisse rufen Unzufriedenheit hervor, denn sie sind schlecht.“ Diese Zitatensammlung, genommen aus nur einer Ausgabe der KVZ (Nr. 18/1974) ließe sich ad libidum weiterführen. Dahinter steckt die Kritik des Kapitalismus durch seine Verteufelung. Nur konsequent gerät dem KBW der Kampf gegen diesen Teufel zum Exorzismus, auch hierfür Beispiele aus der gleichen KVZ: „Die Mittelmeervölker müssen. . . die beiden Supermächte aus dem Mittelmeer hinauswerfen“, „Unter diesen Forderungen das bürgerliche Lager bombardieren …“, „es müssen Forderungen sein, die in der Lage sind, der körperlichen und geistigen Zerrüttung der jugendlichen Arbeiter … Einhalt zu gebieten,“ „alle imperialistischen Räuber … vertreiben“ usw. Das Fazit des KBW über den „Exorzisten“ lautet: „ … der Film … zeigt ein bißchen die Verrottetheit der herrschenden Ideologie und die Verrottetheit der herrschenden Verhältnisse.“ Die KBW-Kritik an ihm und am Kapitalismus zeigt ebenfalls etwas: den desolaten Zustand der marxistischen Theorie in ihrer ML-Gestalt und die miese Praxis ihrer Organisationen. In diesem Sinne gilt der Schlußsatz des KBW-Filmkritikers für jesuitische und „marxistisch-leninistische“ Exorzisten gleichermaßen: „Es ist Zeit, mit ihnen Schluß zu machen.“

 

aus: MSZ 1 – November 1974

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