Der Biermann:

Ein guter Mensch mit Liedern

 

Allem Gezerre um den Hinauswurf des DDR-Bürgers Biermann aus seinem Staatswesen ist eines gemeinsam: Was es mit dem trostlosen Barden auf sich hat, interessiert in Ost und West gleichermaßen nicht, wohl aber, was sich mit ihm Nützliches anstellen läßt – oder auch nicht. Hier differieren die Auffassungen: Die DDR stellt fest, Biermann habe ihr gegenüber seine

„Treuepflicht bewußt und ständig grob verletzt“ (Neues Deutschland),

weshalb man auf die Mitwirkung dieses Bürgers im Staat verzichten müsse.

In der BRD hält man dem mit einer Fülle von Argumenten entgegen, Biermann habe doch gerade in seiner Pflichtvergessenheit gegenüber der DDR eine beachtliche Funktion gehabt, die man nur ungern misse. Die beiden deutschen Staaten machen so ihre unterschiedlichen Interessen an einem Biermann geltend. Der Wettkampf der Interessenten verläuft angesichts des DDR-Desinteresses an Biermann reichlich einseitig:
So fiel es der BRD-Öffentlichkeit nicht weiter schwer, das Objekt in Beschlag zu nehmen. Ein Sieg, bei dem der Gegner indes keinen Willen bekundete, zu bestehen, stimmt hierzulande mißmutig: Nun hat man den Biermann gleich frei Haus bekommen, muß ihn als Neuigkeit von Stadt zu Stadt reichen, und dabei kommt keine rechte Freude auf. So hatte man ihn nicht gewollt – drüben hätte er seine Aufgaben wahrnehmen sollen.


Ein Knistern im DDR-Gebälk

In der ihr eigentümlichen Offenheit spricht die CSU aus, daß der größte Nutzen Biermanns darin bestünde, sich von der „DDR-Macht“ am besten „täglich“ „mit Füßen“ (SZ, 18.11.) treten zu lassen, um an diesem Fall einmal mehr genüßlich feststellen zu können:

„Wer diese sozialistische Ordnung sieht, wie sie wirklich ist, kann sich über die Maßnahmen der DDR-Behörden kaum wundern.“ (ibid.)

Die Presse unseres Landes ergeht sich in langen Betrachtungen, daß Biermanns Bleiben in der BRD nur dann Sinn hätte,

„wenn Wolf Biermann ein deutscher Solschenizyn wäre.“ (SZ, 20./21.1X.)

Da er sich jedoch nicht als Klerikalfaschist

„gegen die DDR ausspielen läßt, ... ist der Liedermacher auch hier unbequem,“ (ibid.)

so daß an ihn die selbstlose Empfehlung ergeht, sich am besten wieder seines Dienstes in der DDR zu besinnen.

Von eifrigen Demokraten ist sogleich die rasche Initiative „Solidarität mit Wolf Biermann“ gestartet worden, Biermann wieder dorthin zu bringen, wo seine Stimme bundesdeutschen Ohren am angenehmsten klingt:

„ ... die DDR hat sich eines – gewiß eines sehr kritischen – Fürsprechers beraubt ... Wir fordern daher: sofortige Rücknahme der Ausbürgerung Wolf Biermanns!“ (Initiative)

Empfindsame Stellungnahmen, wie herzlos es sei, einen Menschen, der dem DDR-Staat soeben entronnen ist, umgehend in diesen vielverrufenen Stacheldrahtverhau zurückzukomplimentieren, blieb die öffentliche Meinung diesmal schuldig. Sie belegte damit schlagend, was von solchem ideologischen Firlefanz zu halten ist: Nichts. Nicht Biermanns Schicksal kümmert, Hauptsache:

„Es knistert im Gebälk der DDR“ (Zeit, 26.11.)

Das Beste an diesem antikommunistischen Konzept ist, daß es mittels Biermann auch ohne ihn klappt, der DDR ein „Dilemma“ (Zeit) zu bereiten:

„Die Mobilisierung des Staatssicherheitsdienstes, Verhaftungen und Festnahmen, die Isolierung des Regime-Kritikers Robert Havemann, die Abschaltung von Telephonen, all das gilt nicht mehr Wolf Biermann, sondern der unerhörten Tatsache, daß etwa hundert Intellektuelle in der DDR es gewagt haben, eine Entscheidung der Regierung zu kritisieren, als sie sich gegen die Maßregelung eines Intellektuellen aussprachen...“ (ibid.)

„Außerordentliches ist geschehen ... das Volk spürt die Unsicherheit an der Spitze.“ (ibid.)

Der Triumph westdeutscher Staatsfreunde liegt jedenfalls darin, daß man jenseits der Mauer mit intellektuellen Bürgern Schwierigkeiten hat, Staat zu machen, im Unterschied zu hier. Was ist von einem Staat zu halten, der Probleme mit einem Sänger hat? Die DDR kann kein effizienter Staat sein, so lautet die Schlußfolgerung aufrechter Demokraten, womit sie bekunden, was sie an der BRD schätzen: unser Staat funktioniert! Wie gleichgültig westlichen Denunzianten der DDR das Volk ist, das sie animieren, mit diesem Staat Schluß zu machen, zeigt sich nicht zuletzt an den Beschuldigungen, die sie gegen die Form vorbringen, in der die DDR mit ihren Kritikern umspringt. Von „schäbigen Tricks“ der Regierung, die „auffällig wenig konkrete Anschuldigungen“ gegen Biermann aufgetischt habe, schreibt die Hamburger „Zeit“, die dadurch zweifellos ihren Rang als eine Zeitung behauptet, die seriösere Methoden im Umgang mit Bürgern empfiehlt, die sich der Staatsraison nicht unterwerfen. Anhand der Rechnung, die DDR habe ihren Biermann doch nun schon „seit zwölf Jahren“ gegen sich gehabt, ohne sich seiner zu entledigen, propagiert diese Zeitung einen Staat, der der DDR vormacht, wie man sich ohne „Beweisnot“ seine Gegner minder dilettantisch vom Hals schafft. Die demokratischen Angriffe gegen den DDR-Staat halten es also nicht mit der Freiheit der dortigen Bürger, singen und sagen zu dürfen, was es zu singen und zu sagen gibt, sie mokieren sich vielmehr mit faschistischer Freude über die mangelnde Effizienz des DDR-Staats. Wenn das nicht zieht!


Ein Mensch mit Gitarre im geteilten Deutschland

Inzwischen demonstriert die Demokratie hierzulande bereits praktisch, wie sie mit kritischen Geistern a la Biermann fertig wird. Daß sie mit Sängern kein Problem hat, zeigt sich daran, daß sie ihm das Singen gar nicht erst verbietet. Der demokratische Staat verspricht sich den schönsten Nutzen für sich, wenn er seine Tingler Freude unters Volk streuen läßt. Als Angehöriger dieses Berufsstandes darf auch Biermann den Bundesbürgern frohe Botschaft bringen. Allerdings erspart man dem Newcomer gewisse Ratschläge nicht, wie er sich vollends zum kritischen Liedermacher hiesigen Zuschnitts zu mausern hat. Biermann wird beschieden: Das Vergnügen, das man gegenwärtig an ihm findet, sei vermutlich nicht von Dauer

„Es ist schon ein kurzzeitiges, schlaglichtartiges »Massenphänomen«, wenn – wie gerade in München – siebentausend im Rund sitzen und dem Manne zuhören.“ (SZ, 27./28.11.)

Die Lust, die es macht, sich durch Biermanns Gesänge sein Mütchen an der DDR zu kühlen, treibt die Massen zuhauf. Wenn Biermann für sie den Satz herausläßt, es gehe darum,

„ob Kommunisten verschiedener Meinung ihre Meinung offen sagen können“, (Zeit, 26.11.)

dann ist es sein Verdienst, wieder einmal die wirksamste Klammer für die unterschiedlichsten politischen Temperamente (einschließlich der demokratischen) angeführt zu haben – den sie allesamt vereinenden Antikommunismus. Doch soll er sich bloß nicht einbilden, er sei darin etwas Besonderes: Biermann

„wird ohne Kredit sich an Show-Fahrpläne halten müssen, er wird Konkurrenz von Kollegen, eines Tages auch von besseren ertragen müssen ... Jetzt in München kam er noch davon.“(ibid.)

Mit ein paar Sprüchen, die den Antikommunisten zum Anpinkeln der DDR reichen, ist das von Degenhardt, Kittner, Süverkrüpp u.a. kritisch sensibilisierte Publikum auf die Dauer nicht zu befriedigen.

„Genügte ihm bisher das Bekenntnis zu einem freiheitlichen Sozialismus, um von dessen utopischem Standort aus die Wirklichkeit am Ideal zu messen, so wird er, der gerne unbedingt dachte, sich nunmehr in einem großen Kontinuum von detaillierteren Meinungen relativiert sehen. Die große Kraftprobe seines Lebens steht ihm erst jetzt bevor.“ (ibid.)

Das Interesse der Publizisten an Wolf Biermanns künftigen Funktionen verrät, daß sie an diesem Intellektuellen nicht etwa Geist oder Kunst schätzen, sondern einzig und allein den praktischen Beitrag, den man sich zur Zierde des besseren Deutschland von ihm verspricht. Nun, was kann er, der nicht mit dem Schmelz der Stimme und den schönen Hüften von Jürgen Markus begnadet ist, bringen? Immerhin:

„Um nur einen Aspekt herauszugreifen: wie oft sieht man wohl im Deutschen Fernsehen jemanden derart souverän Gitarre spielen:“ (SZ, 27.28.11.)

Aber dies ist wohl doch ein zu bescheidener Gesichtspunkt. Biermann ist zu höherem ausersehen:

„Die politische Sensation wird sich in den Liedern und Texten des Wolf Biermann zum latenten politischen Ärgernis wandeln – und das ist seine große Zukunft.“ (ibid.)

Und wie könnte ein exilierter Künstler dies besser demonstrieren als durch seine stets Leid symbolisierende körperliche Präsenz! Biermann braucht also keinen üppigen Busen, ihn zieren große schwer hängende Tränensäcke unter seinen Hundeaugen, die mehr sagen, als seine abgestandenen Sprüche wider den DDR-Sozialismus:

„Auch der Künstler, man vergißt es leicht über seiner öffentlichen Rolle, ist Mensch.“ (Zeit, 26.11.)

In diesem Pelz ist der Wolf herzzerreißend:

„Er präsentiert sich im Alltagsgewand, unrasiert, im hell ausgeleuchteten Saal. Er unterbricht seinen Vortrag ...“ (ibid.)

Und nicht nur das:

„Da ist die alte Kraft dieses absolut moralischen, poetischen Polit-Sängers, der wie kein anderer gleichzeitig (?) weinen und lachen, schimpfen und bitten kann; der Pessimist und Optimist ist, der bitter ernst und geradezu wütend dasteht, tun in der nächsten Sekunde lässig flirtend mit seinem Publikum herumzugirren. Ein strahlender Blick für seine Mutter in der zweiten Reihe; verschwörerisches Augenzwinkern für seine beiden alten Freunde Hainar Kipphardt und Heinz Schubert (das Ekel Alfred). Wolf Biermann ist jetzt glücklich. Ein Vollblutkomödiant in seinem Element – ohne über hinreißend ungestüme Bock-Sprünge je seine unerbittliche Kritik an bürokratisch deformierten Gesellschaften zu vergessen“ (AZ, 27./28.11.)

Was für ein Mensch! Seine „kasperlhafte“ Existenz dient allen, die an so etwas Spaß haben, ohne darüber den politischen Zweck ihrer Zusammenkunft zu vergessen, „als Bestandteil politischer Aktion“ (Zeit, 26.11.). Es ist schon eine Lust, Menschen quieken zu sehen, um sich vorzuführen zu lassen, wie übel ihnen mitgespielt worden ist. Biermann verkörpert für Leute, die das perverse Vergnügen suchen, sich seine ,,Schmerzensschreie“ (SZ, 27./28.11.) anzuhören, ein rundum erfreuliches Politikum. Seine Probleme sind gelungener Ausdruck der Schwierigkeiten, in die „der Mensch im geteilten Deutschland“ gestürzt wird. Weit davon entfernt, sich der Probleme der Bürger dieses Landes anzunehmen, lobt man daran die wirkungsvollste Form ihrer Äußerung, um sich zu bestätigen, wie gut es ist, in einem Land zu leben, das im Gegensatz zur DDR solche Artikulationen zum Maßstab seiner Freiheit erhebt. Daß die DDR sich bis dato unfähig erwiesen hat, aus dem Geschrei ihrer Bürger ihre Legitimation abzuleiten – der Demokrat genießt es.


Ein DDR-Bild ohne Freude

Die DDR setzt nun in der Tat andere Mittel ein, sich zu legitimieren als das moralische Geseiche eines enttäuschten Sängers, der so gerne dem Revisionismus(1) mit der Gitarre nur gehuldigt hätte, weil dieser ihm aber das Singen verbot, nun der verlorenen Freiheit nachheult. Wolf Biermann hat dies zu spüren bekommen, als ihm kurzerhand bescheinigt wurde,

„Ich glaube nicht, daß die DDR Wolf Biermann zu Zwecken der ständigen Selbstreinigung nötig hat ...“ (Hermann Kant)

Zu derartigen Prozeduren ist aus einer Art Waschzwang heraus die Staatspartei der DDR berufen. Von diesem Standpunkt her sind die Bürger Demonstrationsobjekte, an denen sich der DDR-Staat vorführt, wie stolz er auf seine properen Bürger sein kann. Diese werden gezwungen, sich den „Sinn“ ihres Daseins im Arbeiter und Bauernstaat immer wieder glänzend wie neu vor Augen zu führen. Bei dieser Durchsetzung seiner Selbstlegitimation erhofft der Staat sich Dankbarkeit. Allergisch ist er, falls diese ausbleibt. Noch ärger ficht ihn an, wenn sein Geschäft angezweifelt wird. An seiner Reaktion auf Skeptiker zeigt sich, womit er Probleme hat: Ihm kommt es auf Staatsbürger an, die den Zugriff des Staates auf sich hinnehmen. Ihr Hineinreden mag er nicht dulden. Er hält es für pure Besserwisserei, wenn sich seine Bürger bei ihrer Unterwerfung unter die Staatsmoral auch noch etwas denken, und beweist damit, daß es ihm überhaupt nicht darauf ankommt, ob das, was sie denken, nun richtig oder falsch ist.

Die Barbarei solcher Staatsagitation ist auf Zwang gegenüber ihren Bürgern angewiesen, um sich an ihnen durchzusetzen. Im Fall Biermann hat man sich nun von einem Staatsbürger getrennt, an dem die Identität mit dem DDR-Staat nicht herzustellen war. Die Begründung seiner Ausweisung belegt, wie enttäuscht man drüben ist, einen Sänger ziehen lassen zu müssen, von dem sich der Staat immer wieder vergeblich seinen Nutzen erwartet hat. Das hohe Lied der Partei hätte er singen, dem Volk den Sozialismus schmackhaft machen sollen. Doch leider, so läßt sie ihre hiesigen Anhängsel jammern,

„gibt es im DDR-Bild Biermanns keine Freude, keinen Sinn des Lebens ... Biermann kennt die DDR nur zu gut, um nicht zu wissen, daß dies alles nicht der Wirklichkeit und den Tatsachen entspricht.“ (UZ, Zeitung der DKP, 20.11.)

Das Desinteresse der DDR an dem, was Biermann gegen sie vorzubringen hat, ist offenkundig. Da sie ihn anders will, als er ist, jammert sie ihrem verlorenen Staatsbürger nach, anstatt seinen Angriffen zu begegnen:

„Es bleibt abzuwarten, wie Wolf Biermann selber sich zukünftig verhalten wird ...“ (MSB-Flugblatt, München)

Indem sie ihn als jemanden „entlarvt“, der „die rote Mütze“ zu Unrecht trage, gibt sie zu erkennen, wie sehr es ihr aufs passende Kostüm ankommt. Ein Staat, der angesichts der Aktivitäten seiner Bürger keine andere Sorge hat, als das Problem, ob sie etwa beabsichtigen, ihn schon wieder hinters Licht zu führen, ihn zu täuschen, ein solcher Staat demonstriert, daß er die Bürger verachtet, denen er unentwegt hinterherläuft. Sein Mißtrauen gilt ihrer Existenz als Bürger, von denen er Unterwerfung fordert, nicht den falschen Ansichten, die sie als solche äußern. Daß der DDR-Staat also nicht für seine Bürger da ist, sondern diese für sich einspannt, zeigt ausgerechnet noch sein Umgang mit Leuten, die er für „Pseudosozialisten“ hält, von denen er nicht lassen mag.

Daß dieses Verfahren uneffizient ist, haben Faschisten im Westen natürlich am schnellsten gespannt. Warum schafft sich die DDR ihre Bürger , die ihrer Agitation soviel Schwierigkeiten in den Weg legen, nicht leichthin vom Hals, so werden sie fragen. Die Antwort ist bestechend einfach: Die DDR hat dies nicht nötig. Ihre Bürger, die sie tyrannisiert, erweisen sich tagtäglich dieser Verachtung würdig – sie kuschen bereits. Gewiß haben sie ihre Sorgen mit der Parteilinie, aber ihre kritischen Anwürfe lassen sie sich immer wieder von der Partei zurechtrücken Es sind eben nur Stänkereien von Leuten, die die prinzipielle Bereitschaft zeigen, sich zu arrangieren.


Ein Friedensstall

Das gilt insbesondere für die kritischen Sozialisten, denen die SED-Kader das Leben schwer machen. Über 20 Jahre hat sich der „Pseudosozialist“ Biermann von der menschenverachtenden SED vereinnahmen lassen, und die sind ihm nicht genug. Nach seinem Hinauswurf will er wieder in die DDR, weil er mit den dortigen Verhältnissen zurechtkommt.

In seinen Gedichten hat er nie Zweifel daran gelassen, wie wohl ihm ist, „in der besseren Hälfte“ Deutschlands zu wohnen. Biermann ist also ein DDR-Bürger, der drüben bislang auf seine Kosten gekommen ist. Diese naheliegende Erkenntnis ist es schließlich auch gewesen, auf die gestützt die in solchen Angelegenheiten instinktsicheren konservativen Parteien CDU und CSU ihm beinahe seinen Fernseh-Auftritt in der Bundesrepublik vermasselt hätten. Biermann gefällt es also in einem Staat wie der DDR. Er hat nichts gegen diesen Staat, der an seinen Bürgern seine Identität erzwingt. Im Gegenteil: In einem „Stoßgebet“ wünscht er seiner DDR hierzu das Allerbeste. „Unseren Friedensstaat“ will er „so reich und frei, daß kein Schwein mehr abhaut“. Und zur Bekräftigung fügt er hinzu: „So soll es sein, so soll es sein, so wird es sein.“

Einen DDR-Staat will Biermann, der sich in seinen Bürgern wonniglich bespiegeln kann. Und mit der hohen Mission der SED, den Bürgern einen Prachtstaat zu präsentieren, ist er ganz einverstanden. Wohlgemut läßt er Kinder zum Staats-Feiertag am 1. Mai singen:

„Im Kuhstall wird die Milch gemacht,
die Butter und der Frieden.“

Allerdings: Biermann hat Probleme damit, wie sein Staat gegenwärtig diese hehren Zwecke verfolgt:

„Und er ist voll Bitterkeit
und er glaubt nicht einen Faden
mehr an die Gerechtigkeit.
Er ist für den Sozialismus
und für den neuen Staat,
aber den Staat in Buckow
den hat er gründlich satt.“


Eine Lust zu leben

Sein Bekenntnis zum neuen Staat wird ihm getrübt durch die Erfahrung der Mängel, die dessen praktische Durchsetzung mit sich bringt. So schlimm, wie es da zugeht, müßte es nun wirklich nicht sein. Mit dieser schonenden Kritik an der DDR hat Biermann sich drüben seinen Namen gemacht. Er mäkelt an der Praxis seines Staats herum, weil er ihn gern ohne deren Nachteile hätte.

Als Künstler solcher Abstraktionen von der Realität ist er seichter sozialistischer Utopist, der ewig nicht wahrhaben will, daß seine Revi-Moral ohne den gewaltsamen Realismus von Honecker und Co. nicht zu haben ist. Seine „Bilanz-Ballade im dreißigsten Jahr“ z.B., in der er mit der DDR-Wirklichkeit abrechnet, ist voll ideologischer Propaganda, mit der er für sich einzunehmen gedenkt:

„Und doch: Die Freiheitsblume blüht – auch in der Regenpfütze ...“

Die offizielle Parteilinie ist da minder verrückter Ansicht:

„Ob man Kommunist oder nicht, das erweist sich vor allem daran, wie man zu den Errungenschaften des realen Sozialismus steht.“ (UZ, 20.11.)

Damit hat sie den Sänger auf den Boden zurückgeholt. Ideale sind im Arbeiter- und Bauernstaat nur gefragt, insofern sie dem Ausbau der bestehenden Ordnung nützen. Die DDR-Propaganda läßt keine neben ihr konkurrierende Agitation zu. Was Sozialismus ist, und was für das Volk herumkommt, das bestimmt sie, kein politischer Phantast. Sie hat schließlich die Aufgabe, den Bürgern ihre reale Lage als Sieg des Sozialismus aufzuherrschen, um für diesen weitere Opfer von ihnen zu erpressen.

Biermann, der diese Realität nicht wahrhaben will, und sich stattdessen als Ideologe eines frisch-fromm-fröhlich-freien Lebens in der Armseligkeit der DDR aufspielt, bekommt es also bei aller Liebe zu seinem Staatswesen zwangsläufig mit diesem zu tun. Sein Arrangement mit der DDR gefällt zwar ihm, nicht so diesem Staat. Als dessen anerkannter Beschimpfer fühlt zwar er sich wohl, doch hat dieser perverse Nutzen, den Biermann aus der DDR zieht, auch seine Grenzen. Dieser Staat ist um seiner selbst willen seinen Bürgern in ekelerregender Haßliebe zugetan, und eben darum kann er nicht dulden, daß aus diesem seinem politischen Geschäft ein anderer sein munteres Hobby macht.

Biermanns Gesänge delektieren sich am Muff des Arbeiter- und Bauernstaats, für den andere verantwortlich zeichnen. Diese Art der Anbiederung an die DDR kann diese nicht zulassen, weil sie kritisch-schmarotzend auftritt. Parasiten am Staatskörper duldet sie nur, solange diese die Partei dafür preisen. Biermann hingegen wollte sich Genüsse besonderer Art gönnen, als er bekundete,

„sich die Laune und das Leid nicht verderben zu lassen.“ (AZ, 27./28.11.)

So ereilte zuletzt den Sänger den Fluch seiner Partei.

aus: MSZ 14 – Dezember 1976

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