Joseph Beuys auf dem Höhepunkt seiner Karriere:

Filz und Schmalz Gott erhalt’s


Joseph Beuys ist ohne jeden Zweifel ein Künstler. Davon gibt's reichlich – er aber ist obendrein Weltspitzenreiter in den charts of arts:

„ ... Kunstmarkt-Wetterfrosch Willi Bongard (hat) eine Weltrangliste der 100 »größten« Gegenwartskünstler errechnet und sie in CAPITAL veröffentlicht: Beuys hat nun den jahrelangen Spitzenreiter Robert Rauschenberg (Amerikaner!) überrundet und nimmt den ersten Platz ein. Bei dieser Lage nennt Bongard die Beuys-Marktnotierung immer noch »preisgerecht«.“

Diese „mit allen irrationalen Boom-Anzeichen“ erreichte Marktnotierung hat er durch einige geglückte Aktionen sich verdient, bei denen er seine Künstlerseele so richtig schön und öffentlichkeitswirksam heraushängen ließ. Als sein Durchbruch darf folgendes Happening gelten:

„Gleich zu Beginn seiner öffentlichen (!) Karriere suchte er Märtyrerpose: In der TH Aachen war Beuys 1964 als einer unter etlichen Teilnehmern (noch!) aufgetreten bei einem »Festival der neuen Kunst«, das (zufällig, wie er sagt) auf den 20. Juli, den 20. Jahrestag des Attentats gegen Hitler, fiel. Ihn traf, nachdem er unter anderem einen Fettklotz geschmolzen hatte, das Los (!), von einem empörten Studenten zusammengeschlagen zu werden. Stark blutend, reckte er ein rasch (!) aus seinem Requisitenfundus hervorgeholtes Kruzifix in die Höhe und bot so ein provokantes Heilandsbild.“

Mit Filzhut, versteht sich.

Worin sich die Beschreibung entschieden täuscht, ist die angeblich gesuchte „Märtyrerpose“. Wie es sich für einen ordentlichen Künstler gehört, hatte Beuys hier nicht im Sinn, auf Verfolgung „entarteter“ Kunst durch einen Faschisten hinzuweisen, sondern der politische Vorfall war ihm nur Mittel, sich als Kunstwerk zu demonstrieren. Er hatte ja schon längst darauf gewartet, mal den Heiland in sich hervorkehren zu können, wofür ein Kruzifix im Sack immer griffbereit war. In dieser vom Zufall begünstigten und genau abgepaßten Feier der Künstlerpersönlichkeit schaffte Beuys die Demonstration der künstlerischen Weltsicht, die seinen Kollegen in der Mehrzahl halt nicht so lukrativ gelingen will: Das schlichte künstlerische Dogma, daß alle Welt im Künstler und durch ihn zu machen sei:

„Alles (!) drängt danach (!), gestaltet (!) zu werden. – Eine solche Wendung ist für die durchaus sendungsbewußte Haltung von Beuys charakteristisch.“

Die ,,Gestaltung“ muß sich natürlich und erst recht der gesamten gesellschaftlichen Ordnung einschließlich ihrer darin wohnenden Menschlein annehmen. Wer könnte das besser als der bildhauernde Künstler:

„Irritierend an Beuys' politischem Engagement muß wirken, daß er es nicht aus allgemeiner Staatsbürgerpflicht, neben seiner Kunst betreibt, sondern es geradewegs aus ihr ableitet. Wenn er von »Plastik« spricht, dann bezeichnet sein Zentralbegriff nicht nur einen bildnerischen, sondern je länger desto mehr auch einen pädagogischen und sozialen Modellierakt.“

Bei diesem gigantischen Superhappening – der Künstler gestaltet die Welt nach seinem Bild – ist natürlich auch die übliche ästhetische Menschenverachtung vorausgesetzt –

„Sogar ein totes Tier bewahrt mehr intuitive Kräfte als manche (wie heißen wohl die Ausnahmen?) menschliche Wesen mit ihrer eigensinnigen Vernunft.“ (Beuys) –,

was man auch als Möglichkeit des Menschen positiv ausdrücken kann (auf einen Unsinn mehr oder weniger kommt es dabei nicht an):

„Viele Menschen haben Angst vor diesem globalen Gestaltungsbegriff. Ich glaube aber, daß er der vernünftigste von allen ist. Er verlangt gar keinen neuen Menschen, sondern es genügt, mit dem Menschen zu arbeiten, wie er gegenwärtig ist... Das Freiheitsprinzip wirkt stark genug in ihm.“ (Beuys)

Man möge nun nicht meinen, Beuys, wenn er mit den Menschen arbeitet, sei irgendwie arrogant, überkandidelt oder größenwahnsinnig; nein, es handelt sich eben um die selbstverständliche Verlängerung der künstlerischen Lebenslinie, in der nicht nur Leben und Werk des Künstlers untrennbar zusammenfallen – „Beuys, der den Lebenslauf als Kunstwerk auffaßt“ –, sondern die auch schnurstracks die restliche Welt umschlingt. So wundert sich auch keiner seiner vielen kunstverständigen Freunde darüber, daß er diese eigenartige Sorte von Politik in die Tat umzusetzen gedenkt (bei den „Grünen“) – „Tat“ heißt hier natürlich nur, daß er, Beuys, seine Person als Kunstwerk zur Verfügung stellt –, haben sie es doch schon zuvor für völlig rechtens gehalten, daß große Kunst – und um die handelt es sich bei der Politik ja bekanntlich auch – nichts anderes ist als die Exhibition der ungeheuer mannigfaltigen Künstlerseele in Stationen ihres symbolischen Leidenswegs. Banausenhaft also, darüber zu lachen, wenn der Weltrangspitzenreiter eine Kinderbadewanne als Werk ausstellt, nur weil er darin gebadet wurde; großartig das Kunstwerk „Strassenbahnhaltestelle“, hat doch der Künstler in seiner Heimatstadt Kleve des öfteren an ihr auf die Straßenbahn gewartet; tiefsinniges „Ahnen“ im Gebrauch von Fett und Filz, wurde er doch angeblich darin von Tartaren gebettet, als sie ihn im zweiten Weltkrieg schwerverwundet auffanden – man „ahnt“, was so ein Künstler alles im Krieg so erfahren kann, den er dann auch gerne en miniature für sich nachstellt:

„ ... Filzrolle, in der Beuys... neun Stunden unbeweglich zubrachte. Bei so strapaziösen Anlässen erleidet der Akteur selbst »eine Art Scheintod« und erlebt, stellvertretend für jedermann (!), eine »Verwandlung des Selbst«. Beuys: »Jede Aktion verändert mich radikal«.“

Aber am Schluß kommt doch irgendwie immer der alte Beuys aus der Filzrolle geklettert, der sein ganzes Leben darauf angelegt hat, von den einen verrückt, und deshalb von den anderen für genial erklärt zu werden.

Für eines kann er allerdings nichts: dafür, daß ihm jetzt die hymnischen Ehrungen zuteil werden –

„ ... sah da auf einmal eine Möglichkeit, ein Beispiel, daß man mit Kunst etwas ausdrücken kann. Als Ausdruckskunst ohne expressionistische Attitüde ... Intensität ... geht auf Kosten der geschlossenen Form. Eine Synthese von Kunst und Anti-Kunst strebt Beuys an: deren Symbol ist eine jene Hermetik hinter sich lassende Offenheit“ –;

ob er „ein armer Irrer, ein Scharlatan, für die meisten ein Ärgernis“ ist, hat sich an dem doch sehr prosaischen Ereignis, daß er mit großem Pomp von den Amis nach New York geladen wurde, dahingehend entschieden, daß er nichts von alledem, vielmehr ein großer, ja der Repräsentant der Kulturnation BRD ist. Daß dies herauszukehren gerade jetzt so wichtig und wünschenswert ist, kann man dem armen Beuys allerdings nicht anhängen.

Es wäre nur zu bedauern, wenn im kommenden heißen Sommer mal für längere Zeit weltweit der Strom ausfiele und alle seine Margarineklumpen zerschmölzen. Nicht auszudenken: die Kulturwelt wäre um einen toten Hund ärmer. Das Copyright für seine Sterbe-Performance soll das New Yorker Guggenheim-Museum schon erworben haben – nur der Hut bleibt in Düsseldorf.

 

aus: MSZ 32 – Dezember 1979

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